Ministerpräsidentin bleibt in NRW Hannelore Krafts Verzicht hilft der SPD

Düsseldorf · Mit ihrer Klarstellung, "nie" als Kanzlerkandidatin zur Verfügung zu stehen, will Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin die Parteibasis dazu bringen, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen.

 Deutliche Worte: Hannelore Kraft.

Deutliche Worte: Hannelore Kraft.

Foto: dpa, Federico Gambarini

Kein Wunder, dass sie übermüdet wirkte. 21 Stunden habe sie in Berlin mitberaten und -verhandelt, berichtete NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, als sie am Mittwochabend endlich wieder in Düsseldorf war. Im Sitzungssaal der SPD-Landtagsfraktion warteten die Journalisten schon seit einiger Zeit auf sie.

Der Rückflug von Berlin habe Verspätung gehabt, und dann noch die Staus auf den Düsseldorfer Straßen — "alles, was man an so einem Tag nicht brauchen kann", sagte die SPD-Politikerin mit bedauerndem Blick, bevor sie dem wenige Stunden zuvor unterzeichneten Koalitionsvertrag ihr Gütesiegel aufdrückte: "Da ist viel Gutes drin." Sie sei daher "frohgemut", dass die Parteimitglieder dem Vertragswerk in den nächsten Tagen zustimmen werden.

Starker Applaus

Freitagmorgen, wieder im Sitzungssaal der SPD im Landtag: Hannelore Kraft unterrichtet die Fraktion fast eine halbe Stunde lang über die aus ihrer Sicht außerordentlich zufriedenstellenden Inhalte des Koalitionsvertrags. Die Fraktion sieht das genauso und dankt der Regierungschefin mit starkem Applaus (später wird nur einer von elf zu Wort gekommenen Abgeordneten Kritik anmelden, und zwar daran, dass die Bürgerversicherung wieder einmal auf der Strecke geblieben sei).

Nachdem sich der Beifall im Saal gelegt hat, kommt "die Hannelore", wie sie von den Partei-Genossen kumpelhaft genannt wird, auf die derzeit in der nordrhein-westfälischen SPD wabernden Spekulationen zu sprechen. Demnach würde sie, Kraft, den Bundesvorsitz der SPD übernehmen, falls das Mitgliedervotum für die große Koalition negativ ausgeht und Parteichef Sigmar Gabriel deswegen das Amt aufgäbe. Damit hätte Kraft automatisch auch das Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur — wann auch immer die nächste Wahl stattfinden wird. Regulär im Jahr 2017, aber vielleicht schon deutlich früher.

Doch der gebürtigen Mülheimerin, die als eher bodenständig gilt, behagen solche Überlegungen ganz und gar nicht. Denn eine solche "Exit-Strategie" könnte, wenn sie an Eigendynamik gewinnt, gutmeinende Parteimitglieder veranlassen, beim Mitgliedervotum ihrem "Bauchgefühl" zu folgen und mit Nein zu stimmen — und dies in der Annahme, damit ihrer "Hannelore" sogar noch etwas Gutes zu tun.

Das aber wäre keineswegs der Fall. Sicher mag es ihr schmeicheln, immer wieder für diese Spitzenposition genannt zu werden. Den öffentlichen Anfang hat damit übrigens Aydan Özoguz gemacht, die wie Kraft stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei ist. Im Januar 2012 brachte sie die NRW-Regierungschefin als Kanzlerkandidatin zur Bundestagswahl ins Spiel. Nicht zuletzt deshalb, weil Kraft wenige Wochen zuvor auf dem Berliner Parteitag sensationelle 97 Prozent der Delegiertenstimmen erhalten hatte. "Die Begeisterung für Frauen ist da in der SPD", betonte damals Özoguz und setzte eine Welle von Spekulationen in Gang: Was will Hannelore Kraft, wohin treibt es sie?

Steinbrück-Steinmeier-Gabriel

Nicht wenige Genossen sahen in der NRW-Regierungschefin eine verheißungsvolle Alternative zu dem scheinbar entschlusslosen Männer-Trio Steinbrück-Steinmeier-Gabriel. Zwar beteuerte Kraft in unzähligen Interviews immer wieder, ihr Platz sei in Düsseldorf, aber das verstand offenbar kaum jemand als endgültige Absage. Wie denn auch: Wenn "die Partei" tatsächlich laut gerufen hätte, hätte sich Hannelore Kraft, die einen fast kometenhaften innerparteilichen Aufstieg hinter sich hat, dem wirklich verschließen können?

Die Frau aus dem Ruhrpott ist erst 1994 der SPD beigetreten und gelangte 2000 in den Landtag. Ein Jahr später war sie bereits Ministerin, wurde 2005 Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und Anfang 2007 SPD-Landesvorsitzende. Mit ihrer Wahl zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden rückte sie in die Reihe der Berliner Promis auf. Ihre Popularitätswerte schossen nach oben. Dennoch blieb sie "geerdet", suchte und sucht weiterhin den Kontakt zu den Leuten vor Ort.

Dazu dienen ihr die mehrfach im Jahr anberaumten "Tatkraft-Tage", an denen sie Betriebe und Vereine in der Region besucht, die Ärmel hochkrempelt und mithilft. Abends gibt es Small-Talk mit den Bürgern. Die Opposition kritisiert diese Veranstaltungsreihe als verkappte Werbung in eigener Sache. Hier werde "ein Wahlkampfformat auf Steuerzahlerkosten fortgesetzt", rüffelte die FDP-Politikerin Angela Freimuth in dieser Woche bei den Haushaltsberatungen im Landtag.

"Moralapostel"

Kraft erhielt nicht nur Rückendeckung von der eigenen Fraktion, die der Opposition vorwarf, sich wie "Moralapostel" zu gerieren, wie der SPD-Abgeordnete Markus Töns sagte. Auch die Grünen nahmen die Ministerpräsidentin in Schutz. Diese müsse die Möglichkeit haben, auf Veranstaltungen die Politik der Landesregierung zu erläutern, so der Grünen-Politiker Mehrdad Mostofizadeh. Das Format der "Tatkraft-Tage" sei "sehr vernünftig". Den Titel dieser Veranstaltung hält er allerdings für "Geschmackssache".

Tatkraft hin oder her — ins Kanzleramt ziehe es Hannelore Kraft nicht, sagen die, die sie gut kennen. Obwohl sie im Ausland gut zurechtkommt, behage ihr das internationale und vor allem das Brüsseler Parkett nicht so sehr, heißt es. Weil dennoch die Spekulationen nicht verebben, zog Kraft gestern die Reißleine: Sie werde "nie als Kanzlerkandidatin antreten", sagte sie zur Überraschung wohl der meisten Fraktionsmitglieder. Und fügte noch hinzu: "Ich bleibe in Nordrhein-Westfalen".

Bedeutet das, dass sie für immer hier bleiben will? Es wird nicht ausgeschlossen, dass Kraft davon träumt, als erstes weibliches Staatsoberhaupt in die Geschichte der Bundesrepublik einzugehen. Doch die Wahl steht erst 2017 an. Bis dahin werden sich noch viele Spekulationen um Hannelore Kraft ranken.

(RP)
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