Interview Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher „Es gibt keinen vorschnellen Austritt aus der großen Koalition“

Hamburgs Erster Bürgermeister spricht über die Lehren aus Thüringen und seine Zukunft. Für die Bürgerschaftswahl in Hamburg erwartet der SPD-Politiker durch die Entwicklungen in Thüringen negative Folgen für FDP und CDU.

 Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher im Interview.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher im Interview.

Foto: dpa/Axel Heimken

Herr Tschentscher, wie geht es Ihnen als einer der letzten Hoffnungsträger Ihrer Partei?

Tschentscher Ich fühle mich als Erster Bürgermeister wohl und versuche, in Hamburg gute Arbeit zu machen. Wir wollen ein gutes Ergebnis bei der Bürgerschaftswahl erreichen. Das ist in der Tat nicht so leicht, weil der SPD-Bundestrend derzeit gegen uns läuft und die Grünen Rückenwind beim Thema Klimaschutz haben. Wir behaupten uns dabei ganz gut, finde ich.

Sie liegen in aktuellen Umfragen nur knapp vor den Grünen. Was macht Sie siegesgewiss?

Tschentscher Dass die Hamburger SPD großes Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürger besitzt. Meine persönlichen Zustimmungswerte sind auch deutlich höher als die der anderen Spitzenkandidaten. Und unsere Botschaft ist klar: Wir wollen den erfolgreichen Kurs der Stadt fortführen, im Wohnungsbau, bei der Verkehrswende, den Investitionen in Bildung und Digitalisierung. Dabei sind wir glaubwürdig.

Warum sollten Sie glaubwürdiger bei Themen wie der Verkehrswende sein als die Grünen?

Tschentscher Weil es mit dem Ausbau des Radverkehrs, mit Bus und Bahn erst vorangeht, seit wir den Bürgermeister stellen. Bis 2010, als CDU und Grünen regierten, passierte gar nichts beim Verkehr. Es gab kein Radverkehrskonzept, keinen Ausbau des Nahverkehrs, keine Sanierung der Straßen, gar nichts. Das haben wir 2011 geändert. Jetzt sind wir die erste deutsche Metropole, die ihre gesamte Busflotte emissionsfrei betreiben kann, weil wir schon vor vielen Jahren damit begonnen haben, dafür die Infrastruktur zu schaffen: Spezielle Werkstätten, Betriebshöfe, E-Ladetechnik.

Wie wird das konkret aussehen?

Tschentscher Wir beschaffen derzeit nur noch Elektrobusse. In Zukunft wollen wir zusätzlich die Wasserstofftechnologie einsetzen.

Bis wann wollen Sie das schaffen?

Tschentscher Sobald die Technik so weit ist. Leider liefern die europäischen Bus-Hersteller derzeit keine serienreifen Wasserstofffahrzeuge. Wenn das so bleibt, werden wir japanische oder chinesische Fahrzeuge beschaffen, sobald diese für den deutschen Markt verfügbar sind.

Und Sie finden, dass die Grünen nicht glaubwürdig sind?

Tschentscher Beim Klimaschutz wird in Deutschland gerade von den Grünen viel Rhetorik geliefert, aber wenig Aktion. Wir haben einen ambitionierten Klimaplan aufgestellt - den besten, den es in Deutschland derzeit gibt – und wir werden diesen konsequent umsetzen. So wie unser Wohnungsbauprogramm, das Schulbauprogramm oder den Ausbau kostenloser Kitaplätze.

Es gibt in der Bundes-SPD die Idee, den Berliner Mietendeckel auf ganz Deutschland auszurollen. Was halten Sie davon?

Tschentscher Nichts. In Hamburg haben wir uns eindeutig gegen einen Mietendeckel entschieden, weil er keinen Wohnraum schafft und gerade die seriösen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften in Schwierigkeiten bringt. Mit einem absoluten Mietenstopp, können diese ihren Wohnungsbestand nicht mehr sanieren, in Ordnung halten und ausbauen. Das geht am Ende dann auch gegen die Mieter.

Und das Risiko sehen Sie auch für Berlin?

Tschentscher Das muss die Politik in Berlin beurteilen. Bei uns sind selbst die Mietervereine und zum Beispiel auch die Genossenschaften gegen einen absoluten Mietenstopp. Wir bauen stattdessen jedes Jahr über 10.000 neue Wohnungen. Wir haben allein im letzten Jahr weit über 3.000 Sozialwohnungen fertiggestellt. Das schafft keine andere Großstadt in Deutschland.

Sie können doch nicht behaupten, dass Hamburg kein Wohnungsproblem hat.

Tschentscher Wie gehen das aber durch aktiven Wohnungsbau an. Seit 2011 haben wir über 90.000 Baugenehmigungen erteilt und mittlerweile über 50.000 Wohnungen fertiggestellt. Der Mietenspiegel zeigt, dass die Mieten in Hamburg in den letzten zwei Jahren nur noch um 1,3 % pro Jahr gestiegen sind. Das ist weniger als die Inflationsrate und deutlich niedriger als in den anderen großen Städten. Jetzt setzen wir das Wohnungsbauprogramm fort, damit es für alle wieder leichter wird, eine bezahlbare Wohnung zu finden, für junge Leute, die zu Hause ausziehen, für Familien, die eine größere Wohnung brauchen, für Senioren, die oft aus einer zu großen Wohnung in eine geeignete kleinere Wohnung in der Nähe umziehen wollen.

Nun gibt es im Bund erhebliche Haushaltsüberschüsse. Sollten kleine und mittlere Einkommen von Steuerentlastungen profitieren?

Tschentscher Das kann man machen, indem man den Soli schon Mitte des Jahres für 90 Prozent der Einkommensteuerzahler abschafft. Das schlägt Finanzminister Olaf Scholz ja vor. Wer weitere Steuersenkungen fordert, muss zugleich sagen, wie wir die staatlichen Aufgaben wahrnehmen und wichtige Investitionen finanzieren sollen. Mit den derzeitigen Überschüssen im Bundeshaushalt können wir in Zukunftsprojekte investieren, ohne wieder neue Schulden zu machen. Damit können wir dann auch die schwarze Null alten und belasten die künftigen Generationen nicht mit noch höheren Altschulden.

Ihre neuen Parteivorsitzenden sehen das anders und stellen die schwarze Null infrage. Wie beurteilen Sie den Start von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans?

Tschentscher Sie haben einen guten Bundesparteitagsbeschluss erarbeitet, wie es jetzt mit der Großen Koalition weitergehen soll. Es ist schwer, von einem auf den anderen Tag in die Bundespolitik einzusteigen. Deswegen ist es gut, dass der gesamte Bundesvorstand zusammensteht und die neue Spitze unterstützt.

Für Ihren Wahlkampf haben Sie die beiden nicht eingeladen. Warum nicht?

Tschentscher Weil es hier um Hamburger Themen geht und niemand die Stadt so gut kennt wie wir selbst. Wir brauchen dafür keine Unterstützung aus Berlin. Ich bin eher irritiert, dass die Grünen und die CDU ihre Bundesvorstände nach Hamburg holen, um mit denen zu besprechen, was wir in Hamburg machen sollten.

Welche Auswirkungen hat Thüringen auf die Hamburg-Wahl für FDP und CDU?

Tschentscher Das kann dazu beitragen, dass die FDP an der Fünfprozenthürde scheitert und die CDU ihr schlechtes Ergebnis der letzten Wahl noch einmal unterbietet.

Wie geht es mit der großen Koalition in Berlin weiter?

Tschentscher Wir gehen verantwortungsvoll mit der Regierungsbeteiligung in Berlin um. Es gibt keinen vorschnellen Austritt aus der großen Koalition, aber wir nehmen die Revisionsklausel im Koalitionsvertrag ernst und verhandeln mit der Union über neue Schwerpunkte und Projekte für den zweiten Teil der Legislaturperiode.

Aber hätten Olaf Scholz und Klara Geywitz die Vorsitzendenwahlgewonnen, wären sie doch nie mit einem gegenüber der Union so handzahmen Leitantrag durchgekommen...

Tschentscher Das sehe ich anders. Der Beschluss hätte unter dem anderen Spitzenduo sehr ähnlich gelautet. Die SPD wird über den Fortgang der Großen Koalition einvernehmlich entscheiden.

Und die Groko-Gegner in der SPD laufen jetzt nicht mit der geballten Faust in der Tasche herum? Schließlich ist beim ersten Koalitionsausschuss in Sachen Mindestlohn nichts passiert, obwohl das ein klarer Verhandlungsauftrag vom Parteitag war.

Tschentscher Das werden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans weiter mit Nachdruck verhandeln. Die Union war nie für den Mindestlohn, das hat allein die SPD durchgesetzt. Irgendwann wird aber auch die Union zur Vernunft kommen. Wir brauchen in Deutschland einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde, damit alle, die Vollzeit arbeiten, am Ende auch von der Rente leben können.

Der Bund will Bildungsstandards in Deutschland angleichen. Wären Sie bereit, mehr Kompetenzen abzugeben, damit das gelingt?

Tschentscher Nein. Bildung ist Ländersache und das muss auch so bleiben.

Jetzt klingen Sie wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der zuletzt den Nationalen Bildungsrat gestoppt hat...

Tschentscher Bildung ist nun mal Ländersache. Das steht schon so im Grundgesetz. Wir wollen in bestimmten Punkten keinen Flickenteppich und müssen uns unter den Ländern abstimmen. Das geschieht in der Kultusministerkonferenz. Aber letztlich wollen wir uns das Schulsystem in Hamburg und unsere Schwerpunkte in der Bildungspolitik nicht von anderen Ländern vorschreiben lassen. Gleichwohl begrüße ich es, wenn der Bund die Länder und Kommunen in bestimmten Punkten unterstützt, zum Beispiel mit dem Digitalpakt. Dabei geht es nicht um den Kern der Bildungspolitik, sondern um eine bessere technische Ausstattung an den Schulen.

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