Grüne Dominanz

Ob in Rheinland-Pfalz oder in Baden-Württemberg: Die ehemalige Alternativpartei, die künftig auch in Mainz und Stuttgart mitregiert, steht bei Wirtschaft und Mittelstand unter kritischer Beobachtung.

Stuttgart/Mainz "Das ist ein Anschlag auf die Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft, den wir nicht akzeptieren werden. Hier zeigt sich einmal mehr, dass insbesondere die Grünen nach wie vor von einem ideologisch überfrachteten Vermögens-Begriff ausgehen." – Der Satz, der wie ein politischer Donnerschlag klingt und auch so gemeint ist, stammt vom Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion in Mainz, Hans-Josef Bracht. Viel Lärm um nichts? Nein.

Helmut Klapheck repräsentiert die Mittelstandsvereinigung der schon seit 20 Jahren oppositionellen CDU in Rheinland-Pfalz. Klapheck macht, was Bracht unterlassen hat: Er bringt "Butter bei die Fische", sagt, was nach seiner Ansicht wirtschafts- und bürgerfeindlich ist an den Grundzügen des Koalitionsvertrages von Rot-Grün in Mainz: Die Grundsteuer werde erhöht, es gebe ein Ministerium mehr als bisher. Vor allem hätten sich die Grünen unter ihrer Leitfigur Eveline Lemke als der künftigen Wirtschaftsministerin mit ihren ständigen Bedenken gegen ökonomisch wichtige Infrastrukturprojekte durchgesetzt. So werde zwar die umstrittene Moseltalbrücke bei Zeltingen gebaut, dafür jedoch die Mittelrheintal-Brücke bei St. Goar auf Druck der Grünen verhindert. Und das, obwohl die Bevölkerung am Mittelrhein das Projekt befürworte. Lemke (die 48-Jährige ist eine Nichte des früheren bremischen Bildungssenators und Fußballklub-Managers Willi Lemke), die ab 18. Mai erste deutsche Wirtschaftsministerin der Grünen sein wird, bedauert, dass man nicht auch die Moseltal-Brücke habe stoppen können; aber, so die grüne Ökonomin, ein Ausstieg aus dem weit vorangeschrittenen Vorhaben wäre extrem teuer und kompliziert gewesen.

Der Sozialdemokrat und Rhein-Lahn-Landrat Günter Kern bezeichnete indes beide Brückenprojekte als sehr wichtig für Land, Leute und Wirtschaft. An die Adresse vor allem des Grünen-Bündnispartners in Mainz gerichtet sagte Kern, man dürfe die Projekte an Mosel und Mittelrhein nicht gegeneinander ausspielen. Die Industrie- und Handelskammer Koblenz befürchtet "fatale Folgen für die Wirtschaft am Mittelrhein" durch die Nein-Strategie der Grünen. Was die Union in Rheinland-Pfalz samt Wirtschafts- und Mittelstandsflügel besonders besorgt, ist die Straßenbau-Gegnerschaft der grünen Mitregierenden. Die Opposition empfindet es als skandalös und krasse Fehlentscheidung, dass eine 25 Kilometer große Lücke in der Autobahn Trier-Köln nun nicht geschlossen werden soll. Ein ohnehin strukturschwacher Abschnitt der Eifel werde wegen grüner Ideologie weiter geschwächt.

Die Grünen in Rheinland-Pfalz, die ab Mitte Mai drei von neun Ministerien führen werden (Wirtschaft, Umwelt/Landwirtschaft und Integration) machen der seit 2006 allein regierenden SPD – und der CDU-Opposition sowieso – weiteren Kummer. Das hat mit der künftigen Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken zu tun. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Agrar-Ingenieurin ist eine entschlossene Kämpferin für Biolandwirtschaft. Höfkens politische Gegner wittern bei ihr ein Übermaß politisch-ideologischer Voreingenommenheit gegen herkömmliche Landwirtschaft. Die neue CDU-Oppositionsführerin Julia Klöckner will nicht nur deshalb eine parlamentarische Widerstandsbewegung gegen rot-grüne "Unvernunft" anführen, denn, so Klöckner, diese rot-grüne "Hochzeit" koste den Steuerzahler zwischen Koblenz und Kaiserslautern "massig Geld".

In Baden-Württemberg, wo die Grünen im neuen Landtag sogar einen Sitz (36) mehr haben als ihr kleinerer Koalitionspartner SPD, haben sich die Sozialdemokraten fest vorgenommen, den Grünen keine gravierenden Entscheidungen gegen wirtschaftliche Interessen zu gestatten. Die Interview-Aussage des designierten ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, es sollten weniger Autos produziert werden, hat auch die Sozialdemokraten im Autoland Baden-Württemberg irritiert, wenn nicht alarmiert. Anders als in Mainz bei Rot-Grün hat sich in Stuttgart bei Grün-Rot die SPD das Wirtschaftsministerium gesichert. Der künftige Chef des Wirtschafts- und Finanzressorts, Nils Schmid, gehört zu den einflussreichen jüngeren Sozialdemokraten, die ökonomisch die Tassen im Schrank lassen wollen, also nicht zerdeppern wollen, was die ökonomische Stärke des Wirtschaftsprozesses im Südwesten ausmacht.

Dennoch hält CDU-Fraktionschef Peter Hauk, ähnlich wie dies seine Parteifreunde in Mainz tun, auch in Stuttgart der SPD vor, gegenüber den Grünen politisch eingeknickt zu sein. Als Beispiel dient auch der als unzureichend betrachtete Straßenbau. Hauk meint, dass "die einstige Infrastrukturpartei SPD" vor den Grünen in die Knie gegangen sei, weil in Zukunft Straßenneubau nur noch in Ausnahmefällen stattfinden solle.

Thomas Strobl, Schwiegersohn von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und künftiger CDU-Chef in Baden-Württemberg, griff süffisant die grün-rote Selbstbeschreibung einer Bürgerregierung auf: Bürgerregierung bedeute für Grün-Rot mehr Bürokratie, mehr Dienstwagen für die Regierung und höhere Steuern.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort