Griechenland vor der Pleite

Der Kampf Athens gegen den Bankrott ist nicht mehr zu gewinnen. Trotz aller Sparbemühungen und Privatisierungspläne wird es zu mehr als nur einer "sanften Umschuldung" kommen müssen.

Berlin/Brüssel Jedes Kind kennt die Geschichte von Sisyphos aus der griechischen Mythologie. Sisyphos hatte den Zorn des Zeus auf sich gezogen, des größten aller griechischen Götter. Die Strafe des Zeus war furchtbar: Sisyphos musste fortan einen schweren Stein einen steilen Hang hinaufrollen, der ihm jedes Mal kurz vor dem Gipfel wieder entglitt. Sisyphos verbrachte den Rest seines Daseins mit sinnloser Arbeit.

Gut möglich, dass sich Griechenlands sozialistischer Regierungschef Giorgos Papandreou heute immer mehr in der Rolle des Sisyphos sieht: Papandreou kämpft verzweifelt, um neue Reformen, Ausgabenkürzungen und Privatisierungsprogramme im eigenen Parlament durchzusetzen – doch am Ende nützt ihm dies alles nicht und er steht wieder am Anfang. Trotz aller bereits aufgelegten Sparprogramme gelang es der Regierung in Athen bisher nicht, das Anschwellen des staatlichen Schuldenbergs zu stoppen. Der Schuldenstand übersteigt mit derzeit über 330 Milliarden Euro die jährliche Wirtschaftsleistung des Landes von 230 Milliarden bei Weitem.

Ökonomen, die Anleger an den Finanzmärkten und zunehmend auch Politiker glauben nicht mehr daran, dass Griechenland ohne echte Umschuldung, einen Forderungsverzicht seiner Gläubiger, noch vor der Pleite zu retten ist. Noch wollen es die Regierungen der EU-Staaten und die Europäische Zentralbank (EZB) nicht wahrhaben. Sie bereiten nach dem ersten 110 Milliarden Euro schweren Hilfspaket für Griechenland nun ein zweites, voraussichtlich etwa 60 Milliarden Euro schweres Kreditprogramm für Griechenland vor.

Es soll Athen davor bewahren, zahlungsunfähig zu werden, wenn das erste Hilfspaket im kommenden Jahr in Teilen ausläuft. Dass Griechenland in den kommenden zwölf Monaten an den Kapitalmarkt zurückkehren könnte, um dort von privaten Anlegern frisches Geld zu erhalten, gilt spätestens seit vergangener Woche als illusorisch. In der Woche hatte die sogenannte Troika – die Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF), der EU-Kommission und der EZB – den EU-Regierungen nicht viel Hoffnung auf eine schnelle Genesung der griechischen Finanzen gemacht.

Doch auch mit einem zweiten Hilfspaket, so zeichnet sich immer deutlicher ab, kauft sich die EU nur weitere Zeit: Je härter Bedingungen und Auflagen für Griechenland werden und je mehr es sparen muss, desto tiefer rutscht es in die Rezession – und desto mehr sinken die Steuereinnahmen, steigen Arbeitslosigkeit und Unmut in der Bevölkerung. Jede Woche steigt bereits die Zahl der Demonstranten auf den Straßen Athens. Im oft kafkaesk anmutenden bürokratischen Apparat drohen renitente Staatsdiener, viele von ihnen gewerkschaftlich organisiert, die Umsetzung längst beschlossener Reformen zu verhindern.

Schon seit 2008 war das griechische Bruttoinlandsprodukt infolge der Schuldenkrise spürbar geschrumpft. Wie die Kehrtwende tatsächlich gelingen könnte, lassen auch die Experten der Troika weitgehend im Dunkeln. Strukturreformen wie Renten- und Pensionskürzungen oder Privatisierungen zahlen sich in der Regel erst nach vielen Jahren aus. Kurzfristig dämpfen diese Reformen das dringend benötigte Wirtschaftswachstum.

Die Bundesregierung plädiert neuerdings für die Varian- te einer "sanften Umschuldung" Griechenlands. Dabei geht es darum, private Gläubiger – das sind Banken, Versicherungen oder Pensionsfonds – davon zu überzeugen, ihre griechischen Anleihen zu gleichen Zinskonditionen freiwillig weiter in den Büchern zu halten, obwohl diese eigentlich auslaufen. Berlin will diese Laufzeitverlängerungen aber nicht etwa aus ökonomischen Gründen durchsetzen, sondern vor allem aus politischen: Im Bundestag schwindet die Regierungsmehrheit für weitere Griechenland-Hilfen. Durch die Beteiligung privater Gläubiger glaubt die Bundesregierung, den Unmut der Abgeordneten besänftigen zu können.

Auch die EZB, bislang die entschiedenste Gegnerin einer Umschuldung, will die sanfte Variante neuerdings mittragen. Dagegen sei nichts einzuwenden, sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet gestern. Für die EZB wäre eine Einigung der EU-Regierungen darauf, die privaten Gläubiger zu Laufzeitverlängerungen ihrer Anleihen zu bewegen, sicher ein Segen: Käme es nämlich zu einer echten Umschuldung und müssten die Gläubiger auf 50 Prozent ihrer Forderungen verzichten, verlöre auch die EZB einen Batzen Geld. Sie hat nicht nur griechische Staatsanleihen aufgekauft, sie akzeptiert diese bisher auch als Sicherheiten für Kredite, die sie den Banken gewährt.

Doch ökonomisch gesehen wäre die sanfte Umschuldung nicht viel mehr als Kosmetik. "Laufzeitverlängerungen sind nur eine Zwischenlösung", sagt daher Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Eine Laufzeitverlängerung um fünf Jahre würde den Wert der griechischen Schulden nur um etwa vier Prozent senken, hat die Crédit Suisse ausgerechnet.

"Griechenland braucht einen harten Schuldenschnitt", schlussfolgert Deutsche-Bank-Ökonom Mayer. Der dadurch von der EZB befürchtete Zusammenbruch des europäischen Bankensystems ließe sich durch ein gezieltes Bankenstützungsprogramm verhindern, glaubt Mayer.

Ohne einen solchen mutigen Schritt droht wohl bald nicht nur Papandreou, sondern auch der EU insgesamt das schlimme Schicksal des Sisyphos.

(RP)
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