Analyse Nur ein Patt in Athen macht Angst

Brüssel/Athen · Am Sonntag wählen die Griechen ihr neues Parlament. Der Chef des Linksbündnisses Syriza, Alexis Tsipras, führt deutlich vor dem konservativen Ministerpräsidenten Samaras. Ein Syriza-Sieg hat aber an Schrecken verloren.

Alexis Tsipras - selbsternannter Retter Griechenlands
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Das ist Alexis Tsipras

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Foto: dpa, sp ase tba

In Griechenland wird am Sonntag gewählt. In Umfragen führt Alexis Tsipras, Chef des Links-Bündnisses Syriza. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu diesem Szenario.

Wie würde Brüssel auf einen Wahlsieger Tsipras reagieren?

Betont locker schaut die europäische Politik auf die Wahl in Athen . "Es gibt keinen Automatismus, dass Griechenland unter einem Premier Alexis Tsipras nicht mehr der Euro-Zone angehören kann", sagt ein ranghoher Vertreter der Währungsunion über den Chef des Linksbündnisses Syriza und dessen Forderungen: "Die Angst vor Tsipras ist extrem aufgebauscht worden. Das eigentliche Risiko liegt darin, dass es bei einem knappen Ausgang und einer schwierigen Regierungsbildung niemanden gibt, mit dem wir verhandeln können."

Inzwischen sind sich viele Akteure einig, dass die zum Jahreswechsel lancierte "Spiegel"-Meldung ein Rohrkrepierer war. Das Magazin hatte gemeldet, die Bundesregierung halte den Ausstieg Griechenlands aus der EuroZone inzwischen für verkraftbar. Das implizierte, Deutschland habe es nicht nötig, auf Forderungen einer möglichen Links-Regierung in Athen einzugehen. Unabhängig davon, ob dies richtig ist, wurde dies weithin als unanständiger Versuch gewertet, die Wähler weg vom in den Umfragen führenden Tsipras zu locken. "Ich würde wohl erst recht Syriza wählen, wenn mir aus Berlin gesagt würde, dass ich sie nicht wählen soll", sagt ein belgischer Regierungsvertreter.

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Ist ein griechischer Austritt aus der Euro-Zone damit vom Tisch?

Gäbe es bei den Gesprächen mit einem Wahlsieger Tsipras keine Einigung, könnte theoretisch die Situation entstehen, dass die übrigen Euro-Länder und auch der Internationale Währungsfonds ausstehende Milliardenhilfen nicht auszahlen. Dann wäre die griechische Regierung zahlungsunfähig. Sie müsste wahrscheinlich Drachmen drucken lassen und den Euro-Raum verlassen. Als einer der ersten europäischen Verantwortlichen hat Jozef Makuch, der slowakische Vertreter bei der Europäischen Zentralbank, einen griechischen Austritt gerade öffentlich als verkraftbar bezeichnet, weil "wir jetzt keine Angst mehr vor einem Domino-Effekt haben".

Ein hoher EU-Beamter schränkt diese Aussage ein: "Ökonomisch stimmt das, weil wir den Rettungsschirm und die Bankenunion haben und viele Banken nicht mehr so verzahnt sind mit den griechischen Instituten - politisch nicht." Der Finanzdiplomat meint damit das mehrfach von Kanzlerin Angela Merkel gegebene Versprechen, Griechenland im Euro zu halten. "Wenn die Aussage der Regierungschefin des größten Mitgliedslands nichts mehr zählt, könnten sich die Investoren aus Europa zurückziehen." Damit habe sich die Eurozone "auf Gedeih und Verderb an Griechenland gekettet" - und brauche eine Einigung in den Gesprächen mit Athen. Und Tsipras selbst will, das hat er mehrfach betont, nicht von sich aus den Euro-Raum verlassen.

Ist der Zeitplan noch zu halten?

Europas Populisten
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Unabhängig vom Wahlausgang ist es praktisch unmöglich, bis Ende Februar die Verhandlungen über die letzte Tranche des europäischen Hilfsprogramms für Griechenland abzuschließen. Das war schon zum ursprünglichen Termin Ende 2014 nicht geglückt, weil sich die Regierung von Antonis Samaras nicht mit der Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds auf weitere Spar- und Reformschritte einigen konnte. Nun aber wird der nächste Premier - selbst bei klaren Verhältnissen - nicht vor dem 12. Februar vereidigt, dem Tag des nächsten EU-Gipfels. Bis Monatsende blieben nur noch zwei Wochen Zeit.

Gibt es einen Schuldenschnitt?

Die Forderung nach einem Schuldenschnitt, die Tsipras angesichts einer Gesamtschuld in Höhe von 175 Prozent der Wirtschaftsleistung erhebt, bleibt in der Euro-Zone extrem unpopulär. Das liegt nicht nur daran, dass mit 245 von 320 Milliarden Euro der allergrößte Teil der griechischen Schulden in öffentlicher Hand liegt. Allein Deutschland müsste etwa 75 Milliarden Euro abschreiben, wenn Athen die Kredite nicht zurückzahlen würde. Die beiden Hauptargumente in Brüssel gegen einen sogenannten Haircut sind jedoch andere: Erstens würde er kurzfristig kaum etwas bringen, da für die 2012 gewährten Kredite aus dem Rettungsschirm Zinsen überhaupt erst nach acht Jahren fällig werden. "Mehr als Symbolik wäre das nicht", sagt der Finanzdiplomat. Zweitens könnte dies, so der Vertreter der Euro-Zone, "Begehrlichkeiten bei anderen Krisenländern wie Portugal wecken". Erwogen wird daher nur, die ohnehin schon bis zu 30 Jahren währenden Kreditlaufzeiten erneut zu erhöhen.

Wird die Euro-Zone auf Tsipras' Forderungen eingehen?

Bei den Euro-Partnern gibt es die Bereitschaft, einem Wahlsieger Tsipras entgegenzukommen. "Es geht um ein paar symbolische Zugeständnisse, die er zu Hause verkaufen kann", meint ein Brüsseler Diplomat. "Tsipras' wichtigste Aufgabe wird sein, das drastische Kürzungsdiktat der Troika zu beenden", sagt Fraktionschefin der Linken im Europaparlament, Gabi Zimmer, die Tsipras am Wochenende in Athen traf.

Welche Chancen eröffnet ein Wahlsieger Tsipras für Europa?

Trotz des Restrisikos, dass es bei einer Wahl von Tsipras zu Verwerfungen an den Finanzmärkten kommen könnte, verbinden nicht wenige Europapolitiker Hoffnungen mit dem 40-Jährigen, "wenn er es schafft, innenpolitisch etwas zu bewegen", wie der Euro-ZonenBeamte sagt. Er erzählt von Parteigängern in der Regierung, die im Gegensatz zu Parteilosen keine Gehaltskürzungen hätten hinnehmen müssen. Der Regierungsvertreter Belgiens wiederholt das Syriza-Argument, wonach die Reeder in Griechenland nur ein Viertel der Steuern der Schiffscrews zahlen: "Vielleicht braucht es eine Katharsis, um echte Veränderungen in Athen zu erreichen."

(RP)
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