Abstimmung über Griechenland-Hilfen Die Stunde der Rebellen in der Union

Berlin · In langen Sitzungen hat die Regierungsspitze für das Griechenland-Paket geworben, doch rund 60 Abweichler wollen beim Nein bleiben, wenn am heutigen Mittwoch über die neuen Hilfen im Bundestag abgestimmt wird.

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Foto: dpa/Gregor Fischer

Die Europapolitiker der Union sind als erste um elf Uhr zur Stelle am Dienstag, dem Tag vor der nächsten großen Griechenland-Abstimmung im Bundestag. Die Abgeordneten klagen einander ihr Leid. Er müsse sich Zuhause schon rechtfertigen, dass er dem dritten Hilfspaket für Athen am nächsten Tag zustimmen wolle, sagt einer der Parlamentarier in der Runde. "Die Nein-Sager sind nicht die besseren Parlamentarier. Wir sind kein dummes Stimmvieh der Parteiführung. Auch wir haben uns unser Ja sehr wohl gut überlegt", sagt ein anderer.

Der Ärger über die rund 60 Nein-Sager in der Union – darunter 13 aus Nordrhein-Westfalen – sitzt tief bei der Mehrheit der Abgeordneten, die am heutigen Mittwoch der Empfehlung der Bundeskanzlerin folgen und einem 86-Milliarden-Euro-Kreditpaket zustimmen werden. Die Abweichler machen sich aus Sicht ihrer Kollegen das Leben leicht, denn hätte die Koalition nicht diese komfortable Mehrheit, würden sich viele anders verhalten. Sie genießen auch noch die volle Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und sammeln Punkte bei den Bürgern, von denen viele so denken wie sie. Es ist die Stunde der Rebellen in der Union, die für die Mehrheit schwer zu ertragen ist.

Maßgeblich dazu beigetragen hat auch Volker Kauder, der Fraktionschef. Zwei unglückliche Sätze von ihm in einem Interview konnten so verstanden werden, dass er den Widerspenstigen persönliche Konsequenzen androhte. Die Empörung über diese vermeintliche Missachtung des freien Mandats war so groß, dass Kauder jetzt sogar befürchten muss, dass die Zahl der Abweichler im Vergleich zur letzten Griechenland-Abstimmung steigt. Mitte Juli hatten 60 Unionsabgeordnete mit Nein gestimmt, fünf enthielten sich.

Sinken werde diese Zahl allenfalls, wenn einige von denen, die mit Nein gestimmt hätten, am heutigen Mittwoch abwesend wären, heißt es in der Fraktion. "Wer jetzt von Nein auf Ja umschwenkt, wird im Wahlkreis doch verprügelt. Dann gelten Sie doch als Umfaller der Nation", sagt einer.

Vor allem für Kauder, aber auch für die Kanzlerin und Finanzminister Wolfgang Schäuble wird die Abstimmung heute zum Gradmesser für Einfluss und Glaubwürdigkeit. Stagniert die Zahl der Abweichler bei etwa 60, ist die Partei- und Fraktionsführung mit einem blauen Auge davongekommen. Steigt sie, haben alle ein Problem. Bei einer Probeabstimmung über das dritte Griechenland-Hilfspaket stimmten am Dienstagabend 56 Abgeordnete mit Nein, vier enthielten sich.

Um den Widerstand nicht noch weiter zu schüren, hat Kauder am Dienstag bereits auf das sonst übliche Beichtstuhlverfahren verzichtet, bei dem die Fraktionsführung einzelne Abweichler persönlich ins Gebet nimmt. Gemunkelt wird immerhin, einigen Abweichlern sei nahegelegt worden, doch im Urlaub zu bleiben.

Es gab Zeiten, da ging Kauder rüder mit denen vor, die aus der Reihe getanzt sind. Der Fraktionschef habe in der letzten Wahlperiode zu ihr gesagt: "Wenn du immer so widerspenstig bist, wirst du nie was in Berlin", berichtet die sächsische Abgeordnete Veronika Bellmann, die wieder mit Nein stimmen will. Einen Sitz im Europa-Ausschuss habe sie 2013 nicht mehr angestrebt, weil sie wusste: "Das ist nicht wohlgelitten". Kollegen fragten sie: "Wieso stimmst du wieder dagegen, es ist doch gar keine Wahl in Sicht?" "Da kommen schon manchmal herbe Sprüche. Ich antworte dann immer: Das bin ich meinem Gewissen schuldig", sagt sie.

Auch Klaus-Peter Flosbach aus NRW wird heute zu denen gehören, die Angela Merkel und Wolfgang Schäuble die Gefolgschaft verweigern. Noch im Februar hatte der Finanzpolitiker der Verlängerung des zweiten Hilfspakets für Athen zugestimmt, doch jetzt ist für ihn eine Grenze erreicht. "Die Regierung Tsipras hat einen enormen wirtschaftlichen Absturz verursacht, das eigene Volk plündert die Konten. Eine solche Regierung können wir nicht unterstützen", sagt Flosbach. Ein zeitweiser Euro-Ausstieg wäre die bessere Lösung.

Wie Flosbach sind unter den Abweichlern auffallend viele, die den zuständigen Bundestags-Ausschüssen für Haushalt, Finanzen oder Europa angehören, die sich seit Jahren intensiv mit Griechenland beschäftigen. Schäuble habe ihn am Dienstag im Finanzausschuss auch nicht vom dritten Hilfspaket überzeugen können, sagt Flosbach. Die Diskussion mit Schäuble sei detailreich und wenig emotional gewesen, aber man habe bei allen die Skepsis gespürt.

Die Nein-Sager wollen jetzt in Athen kein Vertrauen mehr investieren. Zudem sehen sie wesentliche Voraussetzungen für das Hilfspaket nicht gegeben, denn der Internationale Währungsfonds sei nicht eindeutig mit an Bord. Zudem gebe es die rechtliche Voraussetzung nicht, dass Geld aus dem Rettungsschirm ESM fließen dürfe, denn Griechenland sei für den Euro nicht systemrelevant. Für den Mittelstandspolitiker Carsten Linnemann, der ebenfalls mit Nein stimmen will, ist jetzt schon klar, "dass wir uns in drei Jahren mit dem vierten Rettungsprogramm beschäftigen werden".

(mar)
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