Jerusalem Gewalt gegen Christen im Heiligen Land

Jerusalem · Israel kann die Gewalttäter unter den radikalen Juden nicht stoppen. Auch die Brandstifter der Brotvermehrungskirche wurden nicht gefasst.

Umgeworfene Grabsteine auf christlichen Friedhöfen, Schmähschriften an Klosterwänden und jüngst der Brandanschlag auf die römisch-katholische Brotvermehrungskirche in Tabgha am See Genezareth, die inzwischen wieder geöffnet ist - für die Christen im Heiligen Land gehören Vandalismus und Beschimpfungen beinahe zu den täglichen Herausforderungen ihrer Mission.

Manchmal nur alle paar Monate, manchmal wöchentlich kommt es zu Übergriffen, die oft in Verbindung mit politischen Entwicklungen stehen. Zum Besuch von Papst Franziskus im Frühjahr 2014 mehrten sich die Aktionen der Gruppe "Tag mechir", zu deutsch "Preisschild". Kaum mehr als ein paar Dutzend jugendliche jüdische Extremisten gehören zur "Tag mehir", fast alle kommen aus dem Umfeld radikaler Siedler. Ihre Gewaltaktionen zielen darauf ab, die jüdische Präsenz in den noch besetzten Palästinensergebieten zu festigen und letztendlich alle Andersgläubigen aus dem Heiligen Land zu vertreiben. Nur selten kommt es zu Verhaftungen, obschon Israel die religiös motivierten Angriffe seit ein paar Jahren als "Terror" definiert.

Noch tappt die Polizei im Dunkeln über die Brandstifter von Tabgha. "Die Vermutung liegt nahe, dass die Täter dem ,Tag mechir' angehören", sagte Polizeisprecher Micky Rosenfeld auf Anfrage. "Es könnten aber auch lokale Kriminelle gewesen sein." Verhaftungen gab es noch keine, die Polizei prüfe "alle Möglichkeiten". Parteiübergreifend solidarisierten sich Politiker in Jerusalem mit den Christen. Regierungschef Benjamin Netanjahu forderte höchste Priorität für die Aufklärung. Sogar der inländische Nachrichtendienst Shin Beth folgt den Spuren derer, die das Feuer in der Brotvermehrungskirche legten.

Der breiten Ablehnung von Gewalt gegen Andersgläubige zum Trotz kam es am letzten Tag vor den großen Ferien diese Woche erneut zu rassistischen Hetzschriften und Hakenkreuzen an dem Gebäude der Hand-in-Hand-Schule, der größten jüdisch-arabischen Institution im Land. Israel unternehme "keine ausreichenden Anstrengungen", urteilt Jariv Oppenheimer, Vorsitzender der Friedensbewegung "Peace now". Seit sieben Jahren säen die Aktivisten von "Tag mechir" mit den Zerstörungen neuen Zorn und erschweren die friedliche Koexistenz von Juden, Christen und Muslimen.

Die Polizei reagiert mit zusätzlichem Sicherheitspersonal. Das Pro-Kopf-Aufgebot vor allem in der Jerusalemer Altstadt, wo die heiligsten Stätten von Christen, Juden und Muslimen eng beieinander liegen, sei dichter als an jedem anderen Ort weltweit. Die Regierung sei sich klar darüber, dass "die Verletzung von religiösen Symbolen im Heiligen Land dramatische Folgen haben kann", versicherte Jakow Salame, Abteilungsleiter für Minderheiten im Innenministerium. "Religionsfreiheit und Gleichberechtigung" für die Anhänger der verschiedenen Religionen "werden schon in der israelischen Unabhängigkeitserklärung garantiert".

Gerade in der Altstadt sehen sich Priester, Nonnen und Mönche indes immer wieder Pöbeleien und Beschimpfungen von Seiten junger Jeschiwa-Studenten ausgesetzt. Propst Wolfgang Schmidt von der evangelischen Erlöserkirche musste selbst erleben, dass "Ultraorthodoxe vor mir auf den Boden spuckten, als ich im Lutherrock und mit Kreuz unterwegs zu einer Veranstaltung war". Die "ernsthaften Bemühungen" der Polizei allein werden, so glaubt der Propst, nicht zu einer Lösung führen. Nötig sei eine "gesellschaftliche Debatte". Letztendlich ginge es um mehr Toleranz.

Ausgerechnet in einer israelischen Siedlung treiben jüdische Religionsgelehrte im "Zentrum für jüdisch-christliches Verständnis und Kooperation" (Cicuc) den Dialog unter den Konfessionen voran. "Das Bespucken von Kirchenleuten durch Jeschiwa-Schüler könnte leicht unterbunden werden", findet David Nekrutman vom Cicuc, man müsse nur die Rabbiner einbeziehen. Sie seien es, die ihren Schülern die rechte Botschaft mit auf den Weg geben müssen. Nekrutman rät dringend zu unterscheiden zwischen den zwölf- bis 15-jährigen ultraorthodoxen Jeschiwa-Schülern und den nationalreligiösen "Tag mehir"-Aktivisten. Der treibende Motor für die Hasstaten dürften indes bei beiden Gruppen Ignoranz und Unkenntnis über die anderen Religionen sein.

Keine zwei Prozent der Bevölkerung machen die Christen in Jerusalem aus. Die winzige Gemeinde, so sollte man meinen, kann eigentlich niemanden bedrohen. Dennoch fordert Pfarrerin Ulrike Wohlrab vom Pilger- und Begegnungszentrum der Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung auf dem Ölberg zum Verständnis dafür auf, "welche Angst hier zugrunde liegt". Für viele Juden stünden Christen und christliche Symbole für die Verfolgung, andere "fürchten sich vor Missionaren", und für wieder andere seien Christen "Götzendiener".

(RP)
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