Gesucht: Ein Atommüll-Endlager

Bund und Länder wollen über die Parteigrenzen hinweg die seit Jahrzehnten umstrittene Suche nach einem Atommüll-Lager gemeinsam neu starten. In den Fokus geraten Gesteinsformationen mit Tonschichten in Baden-Württemberg und Bayern. Der Salzstock Gorleben bleibt eine Alternative.

Berlin/Düsseldorf Zurück auf Start: Bund und Länder haben im jahrzehntelangen Streit über ein Atommüll-Endlager auf deutschem Boden die Reset-Taste gedrückt. Der Suchprozess soll nach einem transparenten Verfahren neu gestartet werden; keine Region in Deutschland soll dabei ausgeklammert werden. Man sitze damit nun wieder vor einer "weißen Landkarte", sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) gestern nach einem Treffen mit Vertretern der Bundesländer. Der Umweltminister stellte bis Mitte kommenden Jahres ein "Endlagersuchgesetz" in Aussicht, in dem genau festgelegt werde, nach welchen Kriterien die Endlagersuche ablaufen soll.

Bund und Länder unternehmen damit den Versuch, parteiübergreifend den Stillstand in der umkämpften Endlagerfrage aufzubrechen. Für Niedersachsen bedeutet dieser Beschluss eine geradezu epochale Veränderung: Der Salzstock im niedersächsischen Gorleben, seit 1983 als mögliches Endlager ausgeguckt, soll zwar weiterhin erkundet werden. Doch hat sich die geologische Eignung des Salzstocks bis heute nicht erwiesen. Gorleben sei zudem ohne "formale Bürgerbeteiligung" ausgewählt worden, die Entscheidung für die Erkundung sei rein politischer Natur gewesen, moniert Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS).

Die Suche nach einem möglichen Standort ist dabei vor allem die Suche nach einer passenden Gesteinsschicht, in der hoch radioaktive Abfälle für eine Million Jahre sicher gelagert werden können. Das ergibt sich aus der Halbwertszeit – der Zeit also, nach der die Hälfte eines radioaktiven Stoffes zerfallen ist. Die radioaktiven Abfälle haben meist eine Halbwertszeit von rund 100 000 Jahren oder weniger. Nach der zehnfachen Zeit gilt die Strahlung als nicht mehr gefährlich. Das wären demnach eine Million Jahre – für menschliche Maßstäbe unvorstellbar lang, geologisch gesehen indes nur eine kurze Zeitspanne.

Gorleben wurde bislang aufgrund der Salzstöcke in tiefen Bodenschichten als Standort bevorzugt: Unter dem Druck in mehr als 800 Meter Tiefe verhält sich das Salz ähnlich wie Knetmasse und "fließt" quasi. So kann es die radioaktiven Abfälle langsam umschließen – so dicht, dass einzelne Atome kaum durchdringen können. Weil das Salz "fließt", können auch kleine Risse oder Einbrüche von selbst "heilen". Kritiker sehen indes in Gaslagerstätten und Verschiebungen der Salzschichten eine Gefahr. Zudem lassen sich mit der Zeit die Abfälle aus den Salzstöcken nicht mehr bergen. Falls andere Technologien zur Entsorgung so weit fortgeschritten sind, dass sie als Alternative zur Endlagerung in Betracht kommen, müssten die Abfälle trotzdem in Gorleben bleiben.

Grundsätzlich kommen neben Salzstöcken auch Granit-Schichten und Ton-Formationen infrage, die in der Schweiz und in Frankreich als gut geeignet betrachtet werden. Das nicht so standfeste Tongestein erfordert zwar eine aufwändige Stabilisierung der Stollen, ist aber so gut wie wasserundurchlässig und kaum wasserlöslich. Flüchtiges radioaktives Material wird in der Plättchen-Struktur der Tonmineralien zudem gut gebunden. Doch weil Ton Wärme schlecht leitet, muss zwischen Behältern mit hoch radioaktivem Abfall viel Abstand eingehalten werden. Das macht etwaige Anlagen größer und teurer. Dafür kann der strahlende Müll leicht wieder geborgen werden.

Die Schweiz untersucht im Berg Mont Terri Tonschichten, die bis nach Bayern reichen, aber auch nach Baden-Württemberg. Gut möglich also, dass am Ende die Endlagerfrage an diesem Bundesland hängenbleibt – und die grün-rote Landesregierung in Stuttgart ihr mutiges Voranschreiten bereuen wird: Baden-Württembergs grünem Landesvater Winfried Kretschmann ist es zu verdanken, dass der Suchprozess ohne Tabus neu gestartet werden kann.

Bereits kurz nach seinem Regierungsantritt im Frühjahr hatte Kretschmann erklärt, kein Bundesland dürfe von der Endlagersuche ausgenommen werden, auch seines nicht. Daraufhin hatte sich wenig später auch Bayern bereiterklären müssen, sein Territorium nicht für ein Endlager auszuschließen. "Bayern ist stolz, zur bundesdeutschen Landkarte zu gehören", sagte gestern auch Bayerns Umweltminister Marcel Huber (CSU).

Aus Baden-Württemberg stammt auch der Vorschlag, bis zu vier Standorte auszuwählen, diese ab 2014 genauer zu untersuchen, um bis 2021 die beiden besten Standorte zu identifizieren. Die endgültige Entscheidung solle Ende der 2020er Jahre fallen. Fertig wäre das Lager dann zwischen 2035 und 2040. Röttgen wollte sich gestern auf diesen Zeitplan jedoch nicht festlegen.

Eine Arbeitsgruppe aus acht Bundesländern und dem Bund soll nun Vorschläge für das "Endlagersuchgesetz" erarbeiten. Sie werde noch im November ihre Arbeit aufnehmen, sagte Röttgen. Bis Jahresende könnten die Vorschläge stehen. In der Arbeitsgruppe dabei sind neben Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen Sachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen – und Nordrhein-Westfalen. Dazu kommt noch der jeweilige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz.

Schon gestern gab es Befürchtungen, dass einzelne Länder versuchen werden, sich in der Endlagerfrage "wegzuducken", wie es der niedersächsische Umweltminister Hans Heinrich Sander (FDP) formulierte. Obwohl Röttgen die Ministerpräsidenten zu dem Treffen nach Berlin eingeladen hatte, kamen nur Kretschmann und Niedersachsens Regierungschef David McAllister (CDU). Die anderen Länder schickten ihre Fachminister.

Das Atomland Hessen mit den Reaktoren Biblis A und B betonte im Vorfeld, es verfüge über keine geeigneten Gesteinsformationen. Auch Sachsen-Anhalt, das in der Altmark eine Region mit Tongestein hätte, erklärte, es sei durch das Zwischenlager Morsleben "vorgeschädigt", mögliche Gesteinsschichten seien zudem "zu kleinteilig". Und auch Bayerns Minister Huber bezeichnete seine Granit- und Tonschichten als "zu verklüftet und dünn".

(RP)
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