Kolumne: Gesellschaftskunde Wenn Frauen sich selbst das Ja-Wort geben

Grace Gelder hat sich in England selbst geheiratet. Und sie war nicht die Erste. Was nach Narzissmus klingt, ist vielmehr Zeichen der Vereinzelung in unserer Gesellschaft.

Die Nachricht wirkt wie ein trauriger Scherz: In der englischen Grafschaft Devon hat eine junge Frau sich selbst geheiratet. Sie hat sich ein weißes Kleid gekauft, Freunde und Familie eingeladen und sich feierlich einen Ring an den Finger gesteckt. Dazu hat sie sich selbst die Treue geschworen und ihr Spiegelbild geküsst.

Natürlich ist man da gleich in der griechischen Mythologie - beim Flussgöttersohn Narziss, der sich an einer Wasserquelle in sein eigenes Spiegelbild verliebte und an der Eigenliebe zugrunde ging. Narziss wurde zum Bild für die Neigung mancher Menschen, krankhaft um sich selbst zu kreisen. Und er steht für die Gegenwart, in der viele Menschen glauben, sich als Individuum durchkämpfen, ständig unter Kontrolle halten, sich Höchstleistungen abverlangen zu müssen, und vor lauter Eigenverantwortungsdruck ihre Umgebung aus dem Blick verlieren. Natürlich macht das krank. Wer sich nur um sich selbst kümmert, immer nur aus den eigenen Empfindungen schöpft, der verarmt an Gefühlen. Einzelkämpfer sprechen meist bitter über ihr Leben.

Nun ist die Britin Grace Gelder nicht die einzige, die sich selbst das Ja-Wort gab. Auch in Taiwan ist eine Frau bereits in ein romantisches Brautkleid geschlüpft und hat sich vor geladenen Gästen Eigenliebe gelobt. Beide Frauen haben sich bei Facebook erklärt, sie haben darüber geschrieben, dass sie ungewollt Single sind und sich nun erst einmal vorgenommen haben, sich selbst gernzuhaben, damit es später auch mit dem Partner klappt.

Der moderne Narzissmus, so scheint es, ist also gar keine Selbstverliebtheit mehr, keine totale Verzückung durch das eigene Bild. Es spricht aus den Aktionen der einsamen Bräute vielmehr die verzweifelte Sehnsucht, sich selbst annehmen und gernhaben zu können. Genau das predigen die Ratgeberbücher für gelungene Partnerschaft ja: Wer sich selbst nicht mag, wer vom Partner Erlösung von der eigenen Minderwertigkeit erwartet, der wird keinen finden.

Das ist sicher wahr. Aber solche Ratschläge schieben dem Einzelnen wieder die Schuld an seiner Lebenslage zu: Wer keinen Partner hat, liebt sich nicht genug, der muss eben weiter an sich arbeiten. Die Single-Bräute haben das öffentlichkeitswirksam getan - und Bilder größter Einsamkeit geschaffen. Zu viele Menschen kümmern sich heute nur noch um sich selbst, weil sie Angst haben, in der Welt sonst nicht zu bestehen. Die Erwartungen sind hoch, Konventionen wie das Heiraten mächtig. Und Single-Bräute ein trauriges Bild der Gegenwart.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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