Gesellschaftskunde Wenn eifrige Sinnsuche in die Irre führt

Die Suche nach dem Sinn des Lebens kann zum Selbstzweck werden. Weil Sinn keine Ware ist, die man ergattern könnte. Er muss sich erweisen – im alltäglichen Tun.

Natürlich ist der Mensch erst Mensch, weil er sich nach dem Sinn seines Lebens fragen kann. Anders als das Tier hat er nun mal die Möglichkeit, aus der eigenen Haut zu fahren, sein Selbst von außen zu betrachten, darüber zu grübeln, ob schon gut ist, was er tut. Wer also weiß, dass er ist, muss auch fragen, was der Sinn seines Seins sein könnte. Und weil diese Frage keine eindeutige Antwort kennt, stapeln sich in den Buchläden die Ratgeber und Essays zum Thema.

Darin liegt eine Gefahr, denn so kann die Suche an sich zum Selbstzweck werden. Heute schlägt der Orientierungsbedürftige dieses Büchlein auf, morgen jenes, entdeckt den Sinn des Lebens im Gärtnern, Bergwandern, Meditieren. Es herrscht die Beliebigkeit, und ein gutes Gefühl stellt sich allein schon deswegen ein, weil der Zeitgenosse sich mit der Sinnfrage beschäftigt.

Doch Lebenssinn ist keine Ware. Kein Etwas, das man tatsächlich finden könnte wie seine verlegte Brille. Darum ist die Metapher von der Suche auch so irreführend, denn Sinn findet sich nicht, wenn man nur lange genug forscht und nachdenkt und dem Rat der Experten folgt. Sinn als Ding zu verstehen, als das große Unbekannte, das irgendwann alles aufwerten wird, setzt Menschen sogar unter Druck. Denn es lässt den Alltag mickrig erscheinen und den Sinnsucher, der nie ans Ziel gelangt, als Versager.

Seinen Lebenssinn kann der Mensch aber gar nicht finden, er entsteht im Alltag – im durchschnittlichen Tun jedes Tages, in den unendlich vielen nichtigen Augenblicken, die wir Leben nennen. Nur wer die kleinen Begegnungen achtet, sorgsam mit den unscheinbaren Momenten umgeht, aus denen sich Biografien am Ende zusammensetzen, wird sein Leben als sinnvoll empfinden können. Es geht also um eine Haltung dem Leben gegenüber, eine Gestimmtheit, die der Mensch entwickeln muss, und dafür braucht er Orientierung.

Darum ist es etwas traurig, wenn die Deutschen in Umfragen sagen, der Sinn des Lebens liege in "Freunde haben", "Kinder haben" , "Spaß haben" und "gut verdienen". Natürlich ist es wichtig, gute Freunde zu haben, und sinnvoll, Kinder großzuziehen. Der Sinn des Lebens aber muss sich erweisen darin, wie man mit seinen Freunden umgeht, nach welchen Werten man seine Kinder erzieht, womit man Spaß hat. Und gut zu verdienen, eröffnet Möglichkeiten, Lebenssinn zu entfalten, Sinn an sich stiftet Geld sicher nicht.

Die Sinnsuche sollte nicht ein weiteres Projekt sein, das Menschen unter Leistungsdruck setzt. Sinn will nicht gefunden, er will gelebt werden.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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