Kolumne: Gesellschaftskunde Warum Zufriedenheit nicht käuflich ist

Viele Menschen glauben, sie könnten sich durch Konsum Zufriedenheit verschaffen. Dabei kann die Konsumgesellschaft den zufriedenen Kunden gar nicht wollen, er kauft ja nichts mehr.

Es ist schon bemerkenswert, wie sehr Fragen des Lebensstils die Gesellschaft beschäftigen. Ob Menschen sich für oder gegen Kinder entscheiden, und wenn ja, in welchem Alter. Ob sie auf das Häuschen am Stadtrand sparen oder auf die Aufwertung eines Problemstadtteils spekulieren. Ob sie ihre Tomaten im Bio-Supermarkt in die Papiertüte packen oder beim Discounter zugreifen. Das alles sind politische Fragen geworden. Sie erscheinen heute wichtiger als die alten Kämpfe für oder wider Atomkraft, Flughafenausbau, Nahost-Politik oder woran sonst sich früher ideologische Kämpfe entzündeten.

Statt der klassischen politischen Konflikte mit den bekannten Flügelkämpfen sind es heute eher Themen der individuellen Lebensführung, die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Ist es ethisch vertretbar und sozial erwünscht, wenn Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen und das Muttersein vertagen? Sollte die Ehe heterosexuellen Paaren vorbehalten bleiben? Das sind die politischen Fragen der Gegenwart, die für eine gewisse Zeit heftig diskutiert werden. Wahrscheinlich, weil sie überschaubarer sind als all die komplexen Probleme in der Welt. Zugleich sinkt die Aufmerksamkeitsspanne für solche Themen, werden auch im politischen Diskurs die Konjunkturzyklen kürzer. Die Dinge müssen in Bewegung bleiben, das verspricht Fortschritt.

Der Soziologe Max Weber hatte für das Industriezeitalter noch beschrieben, dass Verzicht und Aufschub die Grundlage des Systems seien. Wer etwas erreichen wollte, durfte erwirtschaftetes Kapital nicht gleich zum eigenen Vergnügen ausgeben, sondern musste erneut investieren, um bald mehr verdienen zu können. In der Konsumgesellschaft dagegen zählt der Verbrauch, wird den Menschen gepredigt, sie sollen den Augenblick genießen und dafür ihr Leben mit immer neuen Gegenständen ausstaffieren, sich etwas gönnen.

So ist in den Lebensstildebatten oft von Zufriedenheit die Rede, doch sie ist das scheinbar unerreichbare Ziel. Und den Menschen werden ständig neue Güter ans Herz gelegt, um doch noch Zufriedenheit zu erlangen. Dabei ist der befriedigte Konsument in Wahrheit gar nicht erwünscht, denn der zufriedene Kunde vergisst das Konsumieren.

Es kommt also darauf an, allen Empfehlungen unserer Zeit zum Trotz, das Glück im Stillstand zu suchen, in den unbezahlbaren Augenblicken, da Menschen einander zuhören, einander helfen, füreinander da sind. Das schafft Zufriedenheit. Glück ist ein Unding - es lässt sich nicht erwerben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort