Gesellschaftskunde Warum wir so frei sein sollten, auf Freiheit zu verzichten

Viele Menschen achten nur sensibel darauf, dass ihre Freiheit von möglicherweise lästigen Regeln gewahrt ist. Es gibt aber auch die Freiheit zu etwas – zum Beispiel die Freiheit, auf uneingeschränkten Konsum zu verzichten.

Viele Menschen achten nur sensibel darauf, dass ihre Freiheit von möglicherweise lästigen Regeln gewahrt ist. Es gibt aber auch die Freiheit zu etwas — zum Beispiel die Freiheit, auf uneingeschränkten Konsum zu verzichten.

Neuerdings sind die Deutschen höchst empfindlich, wenn man ihnen Gutgemeintes verordnen will. Das haben jüngst die Grünen erfahren, als sie für Kantinen einen Vegetariertag verordnen wollten. Plötzlich hielten viele nichts für verwerflicher, als die eigentlich doch sinnvolle Reduktion des Fleischkonsums vorgeschrieben zu bekommen. Zwar gehört es heute zum guten Ton zu behaupten, man esse "total selten" und "wenn überhaupt Biofleisch". Doch einmal pro Woche in Kantinen nicht mehr die Wahl zu haben, das ging zu weit. Da schienen sich zwei überaus verhasste Prinzipien zu vermählen: Gutmenschentum und Paternalismus. Und schon waren die Freiheitskämpfer auf dem Plan und schwangen ihre "Ich lass mir doch nicht vorschreiben"-Reden.

Es gibt aber zwei Sorten der Freiheit: die Freiheit von etwas und die Freiheit zu etwas. Das vergessen Bevormundungs-Phobiker gern. Sie achten sensibel darauf, dass ihre Freiheit von — etwa Regeln des Staates — nur ja nicht angetastet wird. Vor allem soll das Ich immer größtmögliche Wahl haben. Auch wenn Billigprodukte andernorts für lebensgefährliche Arbeitsbedingungen sorgen oder zu viel Fleisch sowohl dem eigenen Körper wie der Umwelt schadet, sollen Kauf- und Verzehrentscheidungen uneingeschränkt das Recht des Einzelnen bleiben.

Nun hat gerade die deutsche Geschichte zwar gelehrt, dass das Individuum bisweilen vor einem übergriffigen Staat mit eisernen ideologischen Grundsätzen geschützt werden muss. Trotzdem kann Gemeinwesen, zumal global gesehen, nur gelingen, wenn der Einzelne erkennt, dass er nicht von willkürlichen Regeln verschont bleiben, sondern seine Freiheit auch zu etwas nutzen sollte. Zum Beispiel dazu, sich mit seinen Mitmenschen darüber auszutauschen, wie viel Konsumfreiheit unser Planet eigentlich verkraftet.

Wahrscheinlich kann man diese Einsicht tatsächlich nicht verordnen. Wahrscheinlich darf die Gesellschaft nur nicht müde werden, diese Debatten immer wieder zu führen. Auf dass der Einzelne seine Freiheit irgendwann vielleicht auch nutzt, um auf die Freiheit des Konsums ohne jede Rücksicht zu verzichten. Wenn wir anfangen, ernsthaft über Einschränkungen zu sprechen, die notwendig sind, wenn uns das Schicksal von Menschen auf anderen Kontinenten nahegeht, gibt es vielleicht mehr als einen Veggieday pro Woche. Freiwillig. Dann könnten wir auch wieder darüber diskutieren, was uns wirklich unfrei macht.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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