Kolumne: Gesellschaftskunde Warum Menschen so gerne Serien gucken

Filme in Episoden kann man flexibel schauen, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Darum passt das Format perfekt zum modernen Leben - und bietet Stabilität in flüchtigen Zeiten.

Eigentlich egal, ob es um robuste Ermittlerinnen aus dem Skandinavischen geht, um die Geschehnisse in einem fantastischen mittelalterlichen Europa oder um einen krebskranken Chemielehrer, der Drogen kocht: Die Leute schauen gerne Serien. Das Format, das lange totgeredet wurde, feiert Verkaufsrekorde. Und auf Partys ist die Frage nach der Lieblingsserie - welche Staffel? - inzwischen so geläufig wie die nach Beruf, Kindern und dem Urlaub. Und die Antwort sagt viel aus über einen Menschen.

Nun hat der Erfolg der Serien sicher mit den Flexibilitätsanforderungen der Gegenwart zu tun: Arbeitszeiten sind ungeregelt, Menschen sind beruflich viel unterwegs. Da lässt sich die Lieblingsserie bequem mitnehmen und auf dem Computer schauen, wo immer man ist. Und in anonymen Hotelzimmern vermittelt der Besuch bei den "Friends" (Staffel zehn) sogar wohlige Heimatgefühle.

Wahrscheinlich ist es also gar nicht so sehr die zeitliche Flexibilität und Ortsungebundenheit, mit der Serien konsumiert werden können, die sie zu einem zeitgemäßen Format macht. Es ist gerade umgekehrt das Kontinuierliche der Serie, ihre Beständigkeit, die modernen Bedürfnissen entspricht. Menschen müssen sich schon in so vielen Fragen ihres Lebens auf wechselnde Anforderungen einstellen, da bieten die gleichbleibende Szenerie und das wohlbekannte Personal eines Films in Episoden wohltuende Vertrautheit. Der Tag war hart, man hat wieder nicht alles geschafft, was verlangt wurde, dann gönnt man sich wenigstens eine Folge "Borgen" oder "Game of Thrones" oder einen Besuch bei den vornehmen Granthams auf "Downton Abbey". Dann kommt in Ordnung, was der Tag an Chaos im Gemüt hinterlassen hat.

Natürlich gehen zugleich manch reale Vergnügen zugrunde, treffen sich die Leute nicht mehr in der Eckkneipe, gehören nicht mehr zu einem Verein, der Kontinuität in ihr Leben bringen könnte. Das Serienfieber als Reflex auf moderne Gehetztheit ist also ein trauriges Zeichen. Aber verdammen sollte man Serien nicht. Die meisten sind einfach zu gut gemacht. Sie bereiten zu Recht Riesenvergnügen. Und wenn sie den Gestressten unserer Tage Entspannung bringen, ein wenig Leichtigkeit und Geborgenheit, dann verstehen die Macher ihr Handwerk gut.

Kunst war schon immer auch ein Spiegel der Verhältnisse. In Serien spiegelt sich die Sehnsucht nach Beständigkeit. Das taugt, solange Menschen auch Vertrautem begegnen, wenn sie den PC herunterfahren.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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