Aus Angst, Schwäche zu zeigen Rückzug der Freundlichkeit

Meinung | Düsseldorf · Freundlichkeit erleichtert den Umgang miteinander und damit auch den Alltag. Doch macht sie auch verletzbar. Vielleicht begegnet man ihr darum seltener.

 Szene vom Düsseldorfer Karnevalszug 2017.

Szene vom Düsseldorfer Karnevalszug 2017.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Es gibt freundliche Menschen. Sie begegnen anderen mit Wohlwollen und wenn nötig mit Nachsicht. Sie versuchen zu helfen, sie lächeln – bevor sie angelächelt werden. Sie merken sich Geburtstage und kennen angedeutete Wünsche. Sie hören zu. Sie lassen aussprechen. Sie nehmen nicht übel. Sie haben keine Launen. Und wenn doch, bilden sie sich darauf nichts ein.

Freundlichkeit ist eine weiche Eigenschaft. Etwas, das den Umgang miteinander leichter macht und den Alltag froher. Doch gerade das Umgängliche an der Freundlichkeit macht sie auch scheinbar defensiv. Freundliche Menschen gelten als willig, als ausnutzbar, als leicht zu lenken. Darum geben manche Leute wenig auf Freundlichkeit. Sie halten freundliches Verhalten nicht für nötig. Mehr noch: Sie haben Angst, dass Entgegenkommen als  Schwäche missverstanden werden könnte.

Vielleicht geht das rüde Verhalten, dem man im Alltag oft begegnet, also weniger auf schlechte Erziehung oder gar einen Verfall der Sitten zurück. Vielleicht hat es mit dem Wandel von Vorstellungen der Stärke zu tun. Sich keine Blöße geben, keine Angriffspunkte offenbaren, nicht verletzlich zeigen, scheint wichtiger geworden zu sein, als den anderen gut zu begegnen. Mehr Rückzug, weniger Zutrauen.

Aber vielleicht hatte es Freundlichkeit auch schon immer schwer – zu jeder Zeit aus anderen Gründen. Das würde bedeuten, dass Freundlichkeit eine Haltung ist. Man entschließt sich, den anderen, sich selbst und  dem Leben freundlich zu begegnen, weil man es so halten möchte. Weil man es für angemessen hält. Und weil die Erfahrung lehrt, dass Freundlichkeit eine hohe Chance hat, erwidert zu werden. Gerade wenn sie es nicht darauf anlegt, also kein Mittel zum Zweck ist. Freundlichkeit ist im Kern selbstlos, auch das macht sie manchen verdächtig. Schließlich geht es ansonsten immer um Leistung und Gegenleistung, um das geschickte Kalkül.

Freundliche Leute meinen es ehrlich. Schön, wenn man solche Menschen um sich hat.

Unsere Autorin ist Redakteurin des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertretenden Chefredakteur Horst Thoren ab.

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