Kolumne: Gesellschaftskunde Warum Entscheidungsmüdigkeit schadet

Entschlüsse lieber nicht zu treffen, erscheint heute vielen als schlau. Wer nicht entscheidet, ist auch nichts schuld - kann allerdings auch nichts gestalten.

Natürlich kann es schlauer sein, keine Entscheidung zu treffen, sich nicht festzulegen, Möglichkeiten offenzuhalten. Es nicht gewesen zu sein.

Das wissen alle, die komplexe Entscheidungsprozesse kennen und den gefährlichen Moment, da einer sagen muss, was nun geschehen soll. Und sich damit angreifbar macht.

Wer Entscheidungen trifft, übernimmt Verantwortung, der verquickt sein Schicksal mit den Folgen des Entschlusses. Und manchmal ist von vornherein klar, dass es auch schlechte Folgen geben wird. Dann nützen auch Hierarchien nichts. Dann wollen auch Entscheider lieber nicht entscheiden, und der Moment wird vertagt und die Entscheidung verschleppt - meist nicht zum Wohl des Ganzen.

Trotzdem gelten Verschlepper heute zumindest heimlich als die Schlauen, als die Taktiker. Das Machen scheint aus der Mode gekommen zu sein. Das lernen die Menschen zum Beispiel von der Politik. Auch dort sind am Ende oft jene Politiker erfolgreich, die sich nicht zu früh festlegen, sich nicht aus dem Fenster lehnen, dem "Steinprinzip" folgen und beharrlich warten, bis sich Entschlüsse fast von selbst ergeben. Sie scheinen dann naturgegeben. Alternativlos.

Natürlich sind Politiker kaum weniger entscheidungsfreudig als ihre Zeitgenossen. Die Politik ist nur eines der Gebiete, in denen die Öffentlichkeit verfolgen kann, wie Entscheidungen getroffen werden. Und dann sehen die Beobachter am Spielfeldrand, wie um strittige Themen gerungen wird und am Ende der als Retter erscheint, der alle vorpreschen lässt, alle Reflexe abwartet und dann weise eine letzte Lösung präsentiert.

Nun ist es sicher sinnvoll, Entscheidungen nicht zu überstürzen, und selbst in Krisen jene Ruhe zu wahren, die jeder braucht, um vernünftig abzuwägen. Auch große Exerzitienmeister wie Ignatius von Loyola mahnen dazu, sich an Weggabelungen im Leben Zeit zu nehmen, um gründlich zu unterscheiden, welche Impulse zu einer guten, einer lebensbejahenden Entscheidung führen, welche negativen Einflüssen entspringen. Die Unterscheidung der Geister kostet Zeit.

Doch es ist nicht der Wille zur Differenzierung, der viele Entschlüsse verzögert. Vielmehr zahlt sich Entscheidungsmüdigkeit als taktisches Verfahren zu oft aus. Nicht Unternehmergeist und persönliche Risikobereitschaft werden belohnt, sondern jene, die sich geschickt durchlavieren und im entscheidenden Moment lieber nichts sagen.

Das ist allerdings eine Frage der Mentalität in einer Gesellschaft, die die Schlauen mehr achtet als die Macher, Reibungslosigkeit wichtiger findet als Pioniergeist. Um fette Jahre zu verwalten, mag das genügen. Für die Zukunft nicht.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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