Gesellschaftskunde Freiheit ist nichts für Ich-Linge

Meinung | Düsseldorf · Freiheit ist nicht nur ein individuelles Abwehrrecht gegen Zwänge aller Art. Es gibt auch die positive Freiheit, in Gruppen nach eigenen Regeln zu handeln. Ein Gedanke, der in der Pandemiebekämpfung vieles erleichtern könnte.

 Wer in diesen Tagen öffentliche Verkehrsmittel benutzen will, muss sich auf Kontrollen gefasst machen. Ist das Verlust von Freiheit oder der gemeinschaftliche Entschluss, die Pandemie in den Begriff zu bekommen?

Wer in diesen Tagen öffentliche Verkehrsmittel benutzen will, muss sich auf Kontrollen gefasst machen. Ist das Verlust von Freiheit oder der gemeinschaftliche Entschluss, die Pandemie in den Begriff zu bekommen?

Foto: Simon Janßen

Wenn in diesen Wochen von Freiheit die Rede ist, erscheint das hohe Gut oft wie eine vom Aussterben bedrohte Gattung, die gegen Wilderer verteidigt werden muss. Daran ist richtig, dass Freiheitsrechte nie für alle Zeit erkämpft sind. Freie Meinungsäußerung oder das Recht zu demonstrieren sind zum Beispiel Freiheiten, die für Regierende unbequem werden können. Darum ist es gut, wenn Bürger bei jedem Versuch, diese Rechte ohne schwerwiegende Gründe und ohne Debatte zu beschneiden, auf die Barrikaden gehen. Nichts ist gefährlicher für die Freiheit als die schleichenden Versuche, sie zu beseitigen. Ernsthafte Debatten über die Vertretbarkeit von Corona-Regeln der vergangenen Monate waren also sinnvoll und notwendig, und auch über die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse lässt sich natürlich streiten.

Allerdings fußen all diese Gedanken auf einer individualistischen Sicht auf Freiheit. Es geht um den Anspruch des Individuums, nicht beschnitten zu werden von der Regierung, der Gesellschaft oder irgendwelchen Mitmenschen. Es geht um die Abwehr von Zwang. Es gibt aber auch die positive Freiheit zu etwas, also etwa zur Selbstverwirklichung. Und es gibt die gemeinschaftliche Perspektive, also die Freiheit, in Gruppen gemeinschaftlich etwas zu tun, was alleine nicht getan werden könnte. Sich selbst zu regieren zum Beispiel nach demokratischen Regeln.

Diese Idee von der kollektiven Freiheit zu etwas ist während der Pandemie leider arg aus dem Blick geraten, weil es immer nur um Einschränkungen ging. Und zu wenig darum, dass sich Kollektive aus vernünftigen Gründen positiv entscheiden können, sich selbst Regeln zu geben. Auch Regeln, die für eine absehbare Zeit und aus nachvollziehbaren Gründen alle einschränken. Damit muss man nicht wegreden, dass es um Einschränkungen geht. Doch wenn eine Gemeinschaft ihr Wissen nutzt, um Schaden von sich abzuwenden, ist das eine positive Freiheit, ein gemeinsames Projekt für begrenzte Zeit. Diese Sichtweise mal wieder zuzulassen, könnte gerade helfen.

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