Gesellschaftskunde Warum die FDP so viel Häme provoziert

Im Spott über das Fiasko der FDP entlädt sich die Wut einer unter Druck geratenen Mittelschicht. Sie stellt soziale Fragen, um die sich die FDP nicht kümmern wollte. Doch Freiheit gibt es nicht ohne soziale Verantwortung.

An Wahlabenden kann man diese unangenehme Gefühlsregung in Reinform erleben: Häme. Da scheidet nach 64 Jahren eine Partei aus dem Parlament, reißt die alte Idee des Liberalismus mit in den Abgrund, lässt eine ärmere Meinungslandschaft zurück, doch löst das kaum Bedauern aus, vielmehr eine gallige Mischung aus Schadenfreude und Hohn. Da wird dann nicht nur eine Partei für strategische Hampeleien, tragikomisches Führungspersonal und mangelnden Gemeinschaftssinn bestraft. Da entlädt sich auch die Wut einer unter Druck geratenen Mittelschicht, deren Kinder zum Dauerpraktikum verdammt sind und nicht mehr daran glauben, dass sich Leistung lohnt. Diese Wut mündet dann in Sprüche wie den, dass die FDP nun erleben kann, wie es ist, wenn Zeitverträge auslaufen.

Keine Frage, die Liberalen haben zu spät bemerkt, dass sich in der deutschen Gesellschaft eine neue Nachdenklichkeit eingestellt hat, eine Skepsis gegenüber Wachstumsgläubig- und Konsumseligkeit. Forsche Jungunternehmer im Karohemd, wie man sie auf der schockerstarrten Wahlparty der FDP noch besichtigen konnte, sind nicht mehr die Helden unserer Tage.

Deutschland ist zwar nicht hinabgerissen worden von der Eurokrise, aber die Menschen beobachten mit Anteilnahme und auch ein wenig Angst, wie in Spanien die Jugendarbeitslosigkeit grassiert. Das sind Folgen von Verwerfungen eines Systems, das den Leuten ungezähmt Angst einjagt — und an dessen Zähmbarkeit sie nur noch bedingt glauben. Wer sollte da eine Partei wählen, die den Dompteur gar nicht erst in die Manege lassen will und nicht einsehen mag, dass Liberalismus noch etwas Anderes bedeuten kann, als die Geschicke der Menschen den Kräften des Marktes zu überlassen. Eine Haltung etwa, die für Schutz vor Ausspähung und das Recht auf freie Entfaltung der Talente jedes Einzelnen eintritt. Das setzt allerdings die Förderung Benachteiligter voraus. Liberale, die verstehen, dass es Freiheit ohne soziales Gewissen, Liberalismus ohne Antworten auf die soziale Frage nicht geben kann, hätten Deutschland viel zu sagen. Doch die FDP hat versäumt, rechtzeitig dem Gordon-Gekko-Geist abzuschwören und die Ziele eines verantwortungsbewussten, kritischen Bürgertums aufzugreifen.

Die Deutschen haben am Sonntag gegen Polarisierung gestimmt und für eine Frau, die ihre Machtpolitik betulich verkleidet, vor allem Ruhe verspricht, Pragmatismus zu ihrer Kunst erhoben hat. Angela Merkel ist der Lotse an Bord. Um diesen aber ist es einsam geworden.

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(RP)
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