Kolumne: Gesellschaftskunde Künstler im Wahlkampf

Künstler in Deutschland seien zu unpolitisch, heißt es. Doch melden sie sich zu Wort, handeln sie sich den Vorwurf ein, sie betrieben nur Eigenwerbung. Dabei ist beides meist kaum noch zu trennen.

Da ist zum Beispiel die Band Jennifer Rostock von der Insel Usedom. Kurz vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag stellte sie ein Lied ins Netz, das in ironischen Zeilen davor warnt, die rechtspopulistische Partei AfD zu wählen. Aufgenommen wurde der Song vor Wohnzimmer-Kulisse, die Sängerin ist nicht weiter zurechtgemacht, singt pointierte Verse mit dem Refrain "Aber nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber" und blickt herausfordernd in die Kamera. Fast sechs Millionen mal wurde das bereits im Internet angesehen.

In Deutschland wird regelmäßig der mangelnde politische Eifer der Künstler und Intellektuellen kritisiert. Schriftsteller beschäftigten sich bevorzugt mit ihrer harmlosen Kindheit, Musiker seien ohnehin nur auf Schönklang bedacht. Meist folgt in diesem Lamento noch der melancholische Hinweis, Günter Grass sei der Letzte gewesen, der sich wirklich in den Wahlkampf gewagt hätte. Melden sich dann allerdings Musiker wie "Jennifer Rostock" zu Wort, wird hämisch darauf verwiesen, dass demnächst auch deren neues Album erscheint. Jede Äußerung steht also immer schon unter dem Verdacht der Eigenwerbung.

Dabei gehen Künstler, die sich politisch äußern, ein hohes Risiko ein. Nicht nur, weil sie sich festlegen und womöglich politisch anders gesinntes Publikum verlieren. Sie riskieren auch, dass sich die Wahrnehmung ihrer politischen Haltung über ihr Künstlersein lagert, dass man am Ende nur noch weiß: Das waren die mit dem "Anti-AfD-Song", aber nicht mehr, welche Musik sie eigentlich machen. Darum ist es gut, wenn einige Künstler sich trotzdem aus der Deckung wagen. Denn das belebt den öffentlichen Diskurs und holt Politik aus den Insider-Zirkeln.

Allerdings ist die Wirkung solcher Musik-Eingaben wohl begrenzt. Denn wenn Rocker wie Campino oder Rapper wie jüngst Eko Fresh gegen Rechts singen, tun sie das vor Publikum, das derselben Meinung ist. Außerdem findet von Bühnen herab kein Dialog statt. Wenn Künstler sich also pädagogisch geben, wirkt das schnell überheblich.

Jennifer Rostock bringt in der Tat bald ein neues Album heraus, die Band hat sich aber schon immer politisch positioniert. Geht es also um Haltung oder PR? Beides ist im Zeitalter der Selbstvermarktung wohl nicht mehr zu trennen. Also sollten auch politische Songs wohl danach beurteilt werden, ob sie gut gemacht sind oder nicht, ob sie künstlerisch wie inhaltlich überzeugen. Und wähle jeder den Soundtrack für sein Kreuzchen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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