Kolumne: Gesellschaftskunde Selbstgerechtigkeit verhindert offene Begegnungen

Düsseldorf · An den Feiertagen treffen Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten aufeinander. Am besten klappt das, wenn sie sich selbst nicht für unfehlbar halten.

 Unsere Autorin Dorothee Krings

Unsere Autorin Dorothee Krings

Foto: Krings

Nun stehen also jene Tage an, die viele Menschen in größtmöglicher Harmonie verbringen wollen. Das kann anstrengend werden, weil Harmonie oft nur ein süßer Guss ist, der verklebt, was darunter liegt. Doch ist es ja ein Segen, dass viele sich nach friedvollem Umgang sehnen und nun mit viel Mühe Vorbereitungen treffen, damit dieser Friede in ihren Familien einziehen und das Jahr für ein paar Tage zur Ruhe kommen kann.

Daran ist nichts Falsches, wenn es auch eine wichtige Aufgabe geworden ist, ein Fest, das ein hilfloses Kind ins Zentrum rückt, vor dem Konsumdiktat, dem radikal stimulierten Habenwollen zu bewahren.

Was indes wirkliche Begegnungen an den Feiertagen oft verhindert, ist ein Wesenszug, der aufrichtige Gespräche schwierig macht: Selbstgerechtigkeit. Gerade an Feiertagen kommen in Familien Menschen zusammen, die ihren Alltag in sehr unterschiedlichen Lebenswelten verbringen. Sie haben unterschiedliche Meinungen und Ziele, halten andere Dinge für wertvoll. Regen sich über unterschiedliche Themen auf.

Zu einem Austausch zwischen ihnen kann es nur kommen, wenn niemand in Selbstgerechtigkeit verfällt und jenen besserwissenden Ton anschlägt, der andere mundtot macht oder aggressiven Widerspruch provoziert. Menschen nehmen Wirklichkeit sehr unterschiedlich wahr und bewerten dieselben Fakten je nach sozialer und politischer Prägung. Diese Voreinstellungen sind mächtig, es lässt sich dagegen kaum andiskutieren. Doch es genügt schon, im Hinterkopf zu haben, dass man selbst solchen Voreinstellungen unterliegt, auch wenn man sich natürlich nie als verbohrt empfindet. Es braucht nur ein wenig Bereitschaft, sich infrage zu stellen. Denn mit diesem Mut zur Selbstkritik im Herzen wird man die Offenheit haben, anderen ernsthaft zuzuhören, Differenzen zu entdecken, ohne sie gleich negativ zu bewerten.

Es ist verführerisch, nur die eigene Position für richtig und unangreifbar zu halten. Ob man das nun ausspricht oder nur denkt: Es gibt einem Sicherheit, ein kostbares Gut in flüchtigen Zeiten. Auch in öffentlichen Diskursen begegnet man darum immer öfter Menschen, die mit großer Selbstgerechtigkeit über andere urteilen. Oft wirkt das sogar stark und überzeugend, und so trumpfen Menschen auf, gewöhnen sich ab, die eigene Position für fraglich zu halten. Als sei das ein Zeichen von Schwäche. So schwindet das Bewusstsein dafür, wie schädlich Selbstgerechtigkeit ist, gerade in Zeiten, da Menschen aus diversen Schichten und Kulturen miteinander klarkommen müssen. An Weihnachten kann man das üben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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