Kolumne: Gesellschaftskunde Kampf der Gedankenlosigkeit

Düsseldorf · Nach der Präsidentschaftswahl in den USA wird nun mit neuem Alarmismus über das Auseinanderdriften der Gesellschaft hierzulande nachgedacht.

Kampf der Gedankenlosigkeit - Kolumne: Gesellschaftskunde
Foto: Krings

Und relativ ratlos über die Wut vermeintlicher Globalisierungsverlierer spekuliert oder über den Einfluss gefälschter Nachrichten in den sozialen Netzwerken, die hohe Klickraten und damit Geld bringen, aber eine Schneise der Desinformation hinter sich herziehen.

Davor schützt nur gesundes Urteilsvermögen - jene Bereitschaft zum kritischen Denken, auf der unser gesamtes Miteinander fußt: die Fähigkeit, richtig und falsch, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Vernunft walten zu lassen. Jeder Einzelne trägt dafür die Verantwortung. Jeder Einzelne muss sich die Mühe machen, sein Urteilsvermögen zu pflegen. Trotz der Gefahr, in einen Echoraum der eigenen Überzeugungen zu geraten und den für die Wirklichkeit zu halten.

Natürlich ist das anstrengend. Informationen sind so leicht zu haben wie noch nie, doch gab es auch noch nie so viele Wahrheiten nebeneinander. Schon ist vom "postfaktischen Zeitalter" und seinen Verführungen die Rede. Doch die Desinformierten sind nicht nur Opfer der Informationsflut. Es gibt auch eine heimliche Lust an der Gedankenlosigkeit. Einen aggressiven Trotz, sich den Halbwahrheiten hinzugeben, all den "endlosen Diskussionen" in den etablierten öffentlichen Räumen wie Parlament, Zeitung, Theater den Rücken zu kehren und sich den knackigen Freund-Feind-Erklärungen zu überlassen. Einfach mal innerlich mitpöbeln, das entspannt.

Urteilsvermögen ist eine Frage der Bildung, auch der Medienbildung. Aber Vernunft ist auch eine Frage des Willens. Der Einzelne muss irgendwann den Entschluss fassen, auf rationale statt emotionale Argumenten zu bauen, sich komplizierte Debatten weiter "anzutun" und die Welt auch mal aus dem Blickwinkel der anderen zu betrachten.

Vielleicht sollten wir nicht mehr so viel darüber reden, wie anstrengend das ist. Sondern darüber, dass es die Pflicht eines jeden ist, der die persönlichen Freiheiten in einer aufgeklärten Welt genießt, sich auch auf mühsame, abwägende Debatten einzulassen. Populismus lebt von Vereinnahmung des Denkens. Von Tabubrüchen und Verunglimpfung. Von vermeintlichen Gewissheiten, vorgetragen von Menschen, die sich als Wortführer einer Widerstandsbewegung inszenieren, aber keine kritische Auseinandersetzung dulden. Diesen Wahrheiten gilt es zu widerstehen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(dok)
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