Kolumne: Gesellschaftskunde Eine gute Zeit, die inneren Maßstäbe wieder zurechtzurücken

Düsseldorf · Der Herbst führt uns vor Augen, dass das Leben immer endlich ist. Doch muss das kein bedrohlicher Gedanken sein, er kann auch lehren, das Leben, wie es ist, schätzen zu lernen.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Eine gute Zeit, die inneren Maßstäbe wieder zurechtzurücken
Foto: Krings

Wie schwer es manchmal ist, dankbar zu sein für das Leben. Ganz schlicht. Für das, was man hat und erleben durfte, was man gibt und was man bekommt. Menschen, die mit dem Lebensende zu tun bekommen, sind oft gute Lehrmeister darin. Sie haben ein anderes Gespür für Bedeutsamkeit. Sie können das bloße Dasein schätzen, sich an stillen, stetigen, vorhandenen Dingen freuen, die so leicht übersehen werden, wenn das ganze Denken und Handeln auf Bewegung und das Morgen gerichtet ist.

Der Neurologe Oliver Sacks war so ein Mensch. Im hohen Alter schrieb er vier Essays, die unter dem Titel "Dankbarkeit" erschienen sind, und von Gelassenheit und Klarheit handeln. Von den einfachen Dingen und der Freude daran. Sacks hat auch nicht aufgehört, an diesen Texten zu arbeiten, als er eine Krebsdiagnose bekam, die ihm keine Hoffnung auf Heilung mehr ließ.

Nun ist es natürlich verständlich, dass der Mensch sich nicht gern mit seinem unausweichlichen Ende beschäftigt. Der Gedanken kann dem Leben auch eine bleierne Schwere geben, die hindert, froh und unbedarft zu leben. Und das hat nicht nur mit Angst vor dem Sterben zu tun, sondern mit rigoroser Selbstbeobachtung. Mit dem Gedanken an die Endlichkeit der eigenen Zeit kann man sich auch unter Druck setzen, nur ja keine Zeit zu vergeuden, nichts scheinbar Überflüssiges zu versuchen.

Dabei ist der Mensch ja nur dann wirklich lebendig, wenn er sich diese Verspieltheiten gönnt, wenn er auch mal ganz leichtfertig in den Tag hineinlebt und sich von sich selbst überraschen lässt. Manche Menschen, die eine bedrohliche Diagnose bekommen, beschreiben genau das als ihren größten Verlust: dass ihnen ab diesem Moment die Leichtigkeit verloren ging, die Arglosigkeit.

Das Leben, so wie es ist, schätzen zu lernen, gehört auch zu den Dingen, die man im Lauf der Zeit lernen sollte. Dazu muss man ablassen von eigenen Ansprüchen, den strengen Zielen, die man sich selbst oft setzt und die den Alltag so anstrengende machen. Man muss die inneren Maßstäbe zurechtrücken, um die unscheinbaren frohen Momente nicht zu verpassen, die rückblickend das Leben ausmachen.

Denn am Ende zählen ja gar nicht die dolle Reise oder auch die hart erkämpfte Beförderung. Am Ende wird alles wieder ganz einfach. Da macht das Beisammensein glücklich, Zeit füreinander zu haben oder aufrichtig miteinander sprechen zu können. Daran kann und sollte man auch denken, wenn die Abende nun wieder länger werden und die Natur uns daran erinnert, dass nichts ewig währt.

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(dok)
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