Aufmerksamkeit Was Schnelldenker verpassen

Meinung · Viele Menschen nehmen Inhalte schnell wahr, sind hochkonzentriert – aber nur noch für kurze Spannen. Sie passen sich den Anforderungen der Zeit an. Doch das hat auch bedenkliche Folgen.

 Bei der Arbeit geht es nicht ohne Konzentration. (Symbol, Archiv)

Bei der Arbeit geht es nicht ohne Konzentration. (Symbol, Archiv)

Foto: dpa-tmn/Bonninstudio

Mit den Büchergaben von Weihnachten starten viele Menschen gerade in ein neues Lesejahr. Allerdings hört man neuerdings auch von Leuten, die früher Vielleser und in ihrer Kenntnis stets einen Bestseller voraus waren, dass es ihnen neuerdings schwerfällt, dickere Bücher zu Ende zu bringen. Manche fangen   gar nicht mehr an, lesen nur das Nötigste, was man so für den Job braucht oder um am Geschehen in der Welt teilzuhaben. Romane? Schon länger her.

Als Ursache nennen die meisten, die vom Lesen abfallen, dass ihnen die Konzentration schwerer falle. Früher haben sie sich aufsaugen lassen von den Geschichten, heute ist jede neue Seite eine Sollbruchstelle zwischen ihnen und dem Buch.

Das passt zu einem anderen Phänomen der Gegenwart: der hohen Durchfallquote bei Fahrprüfungen.  Bei der praktischen Prüfung für die Pkw-Führerscheinklasse B lag sie im vergangenen Jahr bei 43 Prozent. Tendenz seit Jahren steigend. Fahrerlehrer führen das auf eine veränderte „Verkehrswahrnehmung“ zurück – auch wegen des Handys. So schauen schon Kinder auf ihre Mobiltelefone, selbst wenn sie draußen unterwegs sind, bekommen nicht mehr mit, was sich im Straßenverkehr so tut. Die passive Vorbereitung fällt aus.

Die Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen wird also kürzer.  Man lässt sich absobieren von  Nachrichten, kurzen Filmen und Informationshäppchen in der digitalen Welt. Für kurze Zeit sind Leute hochkonzentriert, doch bleiben sie nie lange bei demselben. Was längere Aufmerksamkeit verlangt, hat es heute schwerer.

Das ist nicht per se schlecht. Menschen passen sich an die Erfordernisse ihrer Zeit an, und manche Langatmigkeit früherer Tage hatte auch mit Wichtigtuerei zu tun. Doch muss sich ein jeder selbst befragen, ob es nicht an der Zeit ist, sich bewusst Räume für das ruhige, geduldige, sich erst entwickelnde Wahrnehmen zu schaffen. In Museen etwa, beim Lesen, in der Begegnung mit Menschen, die nicht alles gleich pointengespickt raushauen, sondern Gedanken  im Gespräch entwickeln. Wenn die Geduld dafür nicht mehr reicht, ist das ein Signal.

Unsere Autorin ist Redakteurin des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertretenden Chefredakteur Horst Thoren ab.

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