Ministerin von der Leyen im Interview "Genug Spielraum für Erhöhung der Mütterrente"

Düsseldorf · Die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Kanzlerin, gerechte Renten für Mütter und den Fachkräftemangel in Deutschland.

Ursula von der Leyen - EU-Kommissionschefin und siebenfache Mutter
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Das ist Ursula von der Leyen

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Foto: AP/Efrem Lukatsky

Wer hat Deutschland in den vergangenen acht Jahren mehr verändert - Angela Merkel oder Ursula von der Leyen?

von der Leyen Die Frage ist einfach zu beantworten: Angela Merkel

Warum?

von der Leyen Sie hat ganz selbstverständlich gezeigt, dass Frauen exzellent führen können. Sie hat unser Land sicher durch die Wirtschafts- und Finanzkrise geführt. Und sie hat außerdem Raum gegeben, um wegweisende Veränderungen auf den Weg zu bringen.

Nennen Sie doch ein Beispiel.

von der Leyen Denken Sie nur an die völlig veränderte Familienpolitik oder Energiepolitik. Vor einem Jahrzehnt galten erwerbstätige Mütter als Rabenmütter und erneuerbare Energien als Utopie. Heute diskutieren wir über Qualität von Kitas und den nachhaltigen Energiemix . Und dank der Kanzlerin sind wir bisher gut durch die Eurokrise gekommen. Sie hat es obendrein geschafft, dass Europa in dieser Krise einig blieb und nicht auseinander gebrochen ist. Dafür wird sie eines Tages in die Geschichte eingehen.

Konservative CDU-Politiker werfen Ihnen Verrat an den Werten der Christdemokraten vor.

von der Leyen In Parteien und der Regierung kann man nur verändern, wenn man eine große Mehrheit mitnimmt. Dass schließt nicht aus, dass man anfangs beharrliche Überzeugungsarbeit leisten muss. Weder das Elterngeld noch das Bildungspaket waren von Anfang an ein Selbstläufer. Heute sind sie breit akzeptiert. Und über mangelnde Unterstützung kann ich mich nicht beklagen: Vorneweg Angela Merkel, aber auch Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er hat Weitblick für alle Themen, die künftigen Generation die Ausgangslage erleichtern, bei Bildung, Arbeit, der Rente und den Lebensverhältnissen vor Ort..

Angela Merkel wird bundesweit wegen ihres Regierungsstils gern "Mutti" genannt. Das würde doch eher zu Ihnen passen, oder?

von der Leyen Die Menschen haben ihr mit sicherem Instinkt diesen Kosenamen gegeben. Ich empfinde diesen Begriff als großes Kompliment an die Kanzlerin.

Werden Sie im Falle eines Wahlsiegs weiterhin Arbeitsministerin bleiben?

von der Leyen Ich würde es mir wünschen.

Werden Sie als Arbeitsministerin in einer neuen Regierung als erstes die Erhöhung der Mütterrente für ältere Mütter durchsetzen?

von der Leyen Wir haben derzeit eine Gerechtigkeitslücke im Rentensystem. Frauen, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, erhalten nur einen Rentenpunkt pro Kind gutgeschrieben. Bei den jüngeren Müttern sind es bis zu drei. Wir wollen, dass die älteren Mütter, auch die, die heute schon in Rente sind, einen weiteren Punkt erhalten, was etwa zusätzlichen 28 Euro pro Monat bei der Rente entspricht. Aus Statistiken der Rentenversicherung ist bekannt, dass eine Frau im Durchschnitt 50 Euro pro Kind bei der Rente verliert, weil sie wegen der Kindererziehung im Beruf kürzer tritt. Dabei ist allen klar: Ohne diese Kinder gibt es künftig für niemanden eine Rente.

Soll die erhöhte Mütterrente schon zum 1. Januar 2014 gelten?

von der Leyen Wir werden die Erhöhung der Mütterrente möglichst rasch einbringen, dafür steht die CDU.

Wie soll die Mütterrente finanziert werden?

von der Leyen Die Rentenkasse ist dank der wirtschaftlich guten Lage prall gefüllt. Wir können den geplanten Erhöhungsschritt der Mütterrente aus der Rentenkasse finanzieren. Da gibt es Spielraum, den wir uns dank des boomenden Arbeitsmarktes erarbeitet haben.

Das heißt aber auch, dass der Rentenbeitragssatz für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht wird sinken können.

von der Leyen Die Rentenkasse wird ja nicht nur aus Beitragsmitteln, sondern heute bereits zu einem Drittel aus Steuermitteln gefüllt. Das ist es eine Frage der Schwerpunktsetzung, wofür die 80 Milliarden Steuerzuschuss verwendet werden.

Ihre Priorität ist also Mütterrente vor Beitragssatzsenkung oder Entlastung des Bundeshaushalts?

von der Leyen Inwieweit es Spielraum gibt, den Beitragssatz zu senken, zeigt sich erst im Herbst, wenn dazu alle Wirtschaftsdaten vorliegen. Klar ist bereits heute, dass ausreichend Spielraum in der Rentenversicherung erarbeitet ist, um die Mütterrente einzuführen.

Warum ist es Ihnen nicht gelungen, die Lebensleistungsrente umzusetzen, für die Sie nur einige hundert Millionen pro Jahr aus der Rentenkasse benötigt hätten, während die geplante Mütterrente rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr kostet?

von der Leyen Die Mütterrente betrifft jetzt konkret 6 Millionen Frauen. Die Lebensleistungsrente beugt dagegen der Altersarmut in Zukunft vor. Sie soll verhindern, dass in den nächsten Jahrzehnten die Altersarmut steigt, wenn das Rentenniveau sinkt. Handeln müssen wir trotzdem heute, denn Rente muss über Jahrzehnte angelegt werden.. Es ist schwerer für einen Politiker, für etwas zu werben, was sich erst in Zukunft auswirkt. Aber die Erkenntnis, dass wir gerade für Frauen und Niedrigverdiener einen Schutzschirm vor künftiger Altersarmut brauchen, ist in allen Parteien gewachsen. Ich bin sicher, dass wir in der kommenden Legislatur eine gute Lösung finden.

Die Rentenversicherung selbst kritisiert, dass die Lebensleistungsrente nicht zielgenau sei, weil Geringverdiener und Arbeitslose in der Regel nicht privat vorsorgen.

von der Leyen Die Rente ist der Spiegel eines Arbeitslebens. Die private Vorsorge gehört dazu. Geringverdiener sind ab fünf Euro pro Monat dabei. Für einen Erwachsenen gibt es zusätzlich 13 Euro vom Staat dazu, für ein Kind 26. So eine hoch geförderte private Altersvorsorge gibt es sonst nirgends. Sie muss sich aber für die Geringverdiener am Ende auch auszahlen. Das ist heute leider nicht gesichert. Der große Anreiz der Lebensleistungsrente ist ja gerade, dass die Menschen eine eigene Rente aus der Rentenkasse bekommen und die private Altersvorsorge nicht in der Grundsicherung verschwindet. Es muss einen Unterschied machen, ob jemand gearbeitet, eingezahlt und immer ein paar Euro für private Vorsorge abgezweigt hat, oder nicht.

Eine Ihrer Ziele als Arbeitsministerin war es, mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. Da kommen Sie kaum voran.

von der Leyen Wir erleben gerade, dass im vergangenen Jahr rund 370.000 Menschen mehr nach Deutschland kamen, als das Land verließen. Das Gute ist: Die Leute, die kommen, sind besser ausgebildet und jünger, als der Durchschnitt der Bevölkerung. Trotzdem werden wir mit der Fachkräfteoffensive nicht nachlassen. Ich bin seit Wochen im Land bei mittelständischen Betrieben unterwegs, die händeringend nach qualifizierten Mitarbeitern suchen - Facharbeiter, Ingenieure, Naturwissenschaftler. Wir haben die Gesetzgebung bereits umgestellt und das klare Signal nach außen gesandt, dass Deutschland Menschen mit gesuchten Qualifikationen willkommen heißt. Das gilt vor allem für den europäischen Arbeitsmarkt, wo aktuell viele talentierte junge Leute zuhause kaum Perspektiven haben. Hier müssen wir die Enden zusammenbekommen.

Könnte es nicht auch Missstimmung geben, wenn Sie Ländern wie Spanien, Portugal oder Griechenland die besten Kräfte nehmen.

von der Leyen Meine spanische Kollegin sagt mir, die Jungen ziehen ohnehin ins Ausland, weil sie derzeit keine Perspektive im Land haben. Und es sei ihr lieber, Sie gehen zur Ausbildung und zur Arbeit nach Deutschland oder Österreich als, dass sie ganz ins spanischsprachige Südamerika auswandern. Aufhalten kann die jungen Leute ohnehin niemand.

Können wir denn solche Arbeitskräfte sofort einsetzen?

von der Leyen Viele haben häufig schon eine Ausbildung oder ein Studium. Andere suchen Praktika und Lehrstellen. Beides nützt dem deutschen Arbeitsmarkt, zumal hier Zehntausende Ausbildungsstellen nicht besetzt werden können, weil es keine heimischen Bewerber mehr gibt.

Und nützt das auch den Menschen?

von der Leyen Niemand verlässt gerne die Heimat, aber es ist besser, sie haben Arbeit, können sich weiterbilden und Erfahrung sammeln und gegebenenfalls mit dem Erworbenen wieder zurückkehren. Genau dafür war die Freizügigkeit in der Europäischen Union gedacht.

In einem Nervenkrieg haben Sie Ihrer Partei einen Beschluss für eine feste Frauenquote abgerungen. Wird es dazu ein Gesetz geben.

von der Leyen Erst einmal müssen wir die Wahl gewinnen. Dann steht die klare Aussage der Union dafür, dass nach der Wahl im Herbst ein Gesetz auf den Weg geht, dass es ab 2020 einen Frauenanteil von 30 Prozent in den Aufsichtsräten geben muss.

Wäre für die Umsetzung Ihrer Pläne eine große Koalition sinnvoll?.

von der Leyen Wir kämpfen für eine schwarz-gelbe Koalition. Wer Angela Merkel als Kanzlerin haben will, muss CDU wählen, und zwar mit erster und zweiter Stimme. Das ist Lehre aus der Niedersachsenwahl.

Ist die große Koalition ein Schreckgespenst?

von der Leyen Das habe ich nicht gesagt. Aber ich kämpfe für Schwarz-Gelb.

Martin Kessler und Eva Quadbeck fassten das Interview zusammen

(qua)
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