Berlin Genscher bekommt Chodorkowski frei

Berlin · Der ehemalige Außenminister hat intensiv an der Freilassung des russischen Regierungskritikers Michail Chodorkowski mitgewirkt. Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte ausdrücklich die Bemühungen des FDP-Politikers.

Es ist der Coup eines erfahrenen außenpolitischen Veteranen: Hans-Dietrich Genscher (86), ehemaliger Langzeit-Außenminister der Bundesrepublik, ist eine der zentralen Figuren bei der Freilassung des russischen Regierungskritikers Michail Chodorkowski. Das bestätigte die Bundesregierung: Hinter den Kulissen habe sich der FDP-Politiker intensiv um den Fall gekümmert, sagte Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert. "Mit großem Einsatz hat er sich — mit Unterstützung der Bundeskanzlerin und des Auswärtigen Amts — erfolgreich um Lösungswege bemüht."

Der freigelassene Öl-Magnat, der eine zehnjährige Haftstrafe in einem russischen Straflager verbüßt hat, wurde von Genscher am Berliner Flughafen Schönefeld in Empfang genommen. Der Ex-Außenminister sei auch daran beteiligt gewesen, das Privatflugzeug für die Reise des 50-Jährigen zu organisieren, hieß es aus Sicherheitskreisen. Aus dem Auswärtigen Amt verlautete, Minister Frank-Walter Steinmeier und Genscher hätten in der Sache am Donnerstag telefoniert.

Chodorkowski war am Morgen entlassen worden, nachdem ihn Präsident Wladimir Putin begnadigt hatte. Nach seiner Landung in Berlin wurde er ins Hotel Adlon gebracht. Genscher sagte "Spiegel Online", dem Regierungskritiker gehe es den Umständen entsprechend gut. "Er ist erschöpft, aber sehr glücklich, endlich in Freiheit zu sein." Der Putin-Gegner müsse sich jetzt erst einmal ausruhen und wolle sich zunächst zurückziehen.

In einer ersten Nachricht an seine Unterstützer schrieb Chodorkowski: "Ich danke besonders Herrn Hans-Dietrich Genscher für seine persönliche Anteilnahme an meinem Schicksal." Er werde sich nun erst einmal um seine Eltern, seine Ehefrau und seine Kinder kümmern. Er sprach von einer Wiedergutmachung gegenüber seiner Familie. "Ich freue mich sehr darauf, sie zu treffen. Und ich freue mich, die bevorstehenden Feiertage mit der Familie zu feiern."

Im Gefängnis verfasste der gelernte Chemiker Bücher und Briefe, die auch dazu führten, dass er das Image des habgierigen Kapitalisten verlor. Chodorkowski sei jetzt eine "moralische Instanz", ein "geistiger Führer", meint die Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung, Ljudmila Alexejewa, von der Moskauer Helsinki-Gruppe. Sie vergleicht Chodorkowski mit den Dissidenten-Größen Vaclav Havel (1936—2011) und Andrej Sacharow (1921—1989). Alexewa betont aber auch, dass dieser Weg nicht vorgezeichnet gewesen sei. Aber der harte Alltag im Straflager habe ihn zur Galionsfigur für all diejenigen Russen gemacht, die sich nach mehr demokratischen Freiheiten sehnen.

Der frühere Oligarch, inzwischen mit internationalen Preisen bedacht, setzt sich in Schriften seit Langem auch für eine Einigung der zersplitterten Opposition ein. Gerade das dürfte Putin sorgen. Chodorkowskis Pläne, eine selbstbewusste Zivilgesellschaft aufzubauen, endeten jäh am 25. Oktober 2003, als der Inlandsgeheimdienst FSB seinen Privatjet in Sibirien stürmte und den Oligarchen festnahm. Sein Widerstand gegen Putin kostete Chodorkowski am Ende nicht nur seine Freiheit, sondern auch seinen milliardenschweren Ölkonzern Yukos. Ob und wie der Putin-Gegner künftig in Freiheit agieren kann, bleibt abzuwarten.

(RP)
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