Geißlers Schlichtung vor dem Aus?

Stuttgart 21: Das Drängen des Mediators auf einen Baustopp beim umstrittenen Bahnprojekt bleibt ohne Erfolg. Weder Bahn noch Landesregierung lassen sich auf ein Moratorium ein. Derweil wird "S 21" zum Symbol, an dem sich bundesweit die Geister scheiden: Nun machen die Anhänger mobil.

Heiner Geißler, Vermittler im Streit um das Bahnprojekt "Stuttgart 21", war gerufen worden, um zwischen den Fronten zu vermitteln. Doch nun ist das 80-jährige Mitglied von CDU und Attac selbst zwischen die Stühle geraten. Sowohl bei der Bahn als auch bei der Landesregierung und in der CDU-Fraktion holte er sich gestern einen Korb: Ein Baustopp, wie Geißler ihn bereits für die Dauer der Schlichtung angekündigt hatte, kommt für die Befürworter und Verantwortlichen von "Stuttgart 21" nicht infrage.

Um am Abend beim Gespräch mit den Gegnern nicht mit völlig leeren Händen dazustehen, versuchte Geißler semantisch voranzukommen. Der von den Gegnern als Vorbedingung für Verhandlungen verlangte "Baustopp" sei zu einem "Kampfbegriff" geworden. Deshalb brachte Geißler den Begriff "Bauunterbrechung" ins Spiel. Wenigstens dieses Zugeständnis hatte er sich am Nachmittag in einer Sitzung der CDU-Fraktion abholen können. Fraktionschef Peter Hauk akzeptierte die "eine oder andere Unterbrechung" unter der Bedingung, dass es "zu keinen Bauverzögerungen kommt". Die Gegner sagten zur Absage von Bahnchef Rüdiger Grube an einen Baustopp indes, dieser habe "den Rambo gemacht".

Damit bestätigte sich, was Geißler am Morgen nach den ersten Tagen der Vermittlungsbemühungen analysiert hatte. Verglichen mit anderen schweren Schlichtungen, auch bei der Bahn, gebe es bei diesem Projekt eine "neue Dimension", da "zwischen den Lagern überhaupt keine Vertrauensbasis da ist". Deshalb steht für Geißler an erster Stelle, Stück für Stück Vertrauen zu schaffen. Danach könne es erst um eine Befriedung gehen.

Was Geißler im Einzelnen plant, skizzierte er gestern erstmals öffentlich. "Es müssen jetzt mal alle Zahlen, Fakten und Einschätzungen auf den Tisch und zwar von Angesicht zu Angesicht", sagte er am Morgen vor Journalisten. Die Kontrahenten müssten die Argumente der jeweils anderen Seite hören und auch bewerten können. Geißler: "Die Schlichtung wird in erster Linie eine Fakten- und Sachschlichtung sein." Dazu werde er einen Katalog aller Themen aufstellen und diesen dann Punkt für Punkt abarbeiten. Dabei sollten Verdächtigungen der einen gegenüber der anderen Seite ausgeräumt werden. Am Ende könnten dann mögliche Übereinstimmungen festgestellt werden .

Die Chancen dafür stehen jedoch denkbar schlecht. Nachdem die Gegner des Milliardenprojektes die Schlagzeilen der vergangenen Wochen beherrschten, machen nun die Befürworter mobil. "I love oben ohne" lautet ein Aufkleber in Anspielung auf das Projekt, den oberirdischen Kopfbahnhof zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof umzubauen. Die Seite "Für Stuttgart 21" findet im sozialen Netzwerk Facebook im Internet Zulauf mittlerweile im Sekundentakt. Gestern Nachmittag zählten die Bahnhofsbefürworter 85 166 Anhänger, gestern am frühen Abend waren es bereits über 86 000.

Auch in Berlin kommen Politiker von Union und FDP immer mehr aus der Deckung heraus, vertreten das Projekt offensiv, indem sie die angeblichen Alternativen auseinandernehmen, mit denen die S-21-Gegner hausieren gehen. Die "K-21"-Alternativtrasse sei überhaupt nicht genehmigungsfähig, da sie den Verkehrslärm mitten durch Wohnstraßen führe.

Vor Ort zeigen die Befürworter nun auch mehr Präsenz. Die Industrie- und Handelskammer der Region lud 750 Gäste in die Stuttgarter Liederhalle, um unter dem Beifall der heimischen Unternehmer Bahnchef Rüdiger Grube mit dem "Merkur", dem Schutzpatron der Unternehmerschaft, auszuzeichnen. Das sei, so betonte Kammerpräsident Herbert Müller, ein "deutliches Signal der Wirtschaft für die überfällige Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart". Die Firmen- und Verbandsvertreter forderten von der Politik, jetzt auch für das zu stehen, was sie über so viele Jahre vorangetrieben hätten: "Haben Sie das Rückgrat, es zu verteidigen."

Grube rechnete vor, dass eine Bauunterbrechung das Unternehmen pro Monat zehn Millionen Euro koste. Über einen solchen Betrag könne auch der Bahnchef nicht allein entscheiden. Andererseits versicherte Grube, dass sich das Projekt rechnen werde – selbst für den Fall, dass es sogar noch teurer werde als die bisher als "Sollbruchstelle" genannten 4,5 Milliarden Euro. Derzeit wird das Projekt auf 4,1 Milliarden Euro taxiert.

Die Bahn lässt die Vergaben für die nächsten Bauschritte konsequent weiterlaufen. Im europäischen Amtsblatt sind derzeit die Bauarbeiten für Tunnel, Schächte und Unterführungen ausgeschrieben. Bewerbungsschluss ist bereits der 25. Oktober. Auch Geißler will aufs Tempo drücken. Die Schlichtung könne "nicht ewig dauern".

Internet Die Baustelle aus der Vogelperspektive unter www.rp-online.de/politik

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