Ohne Computer-Chaos ins Jahr 2000 "Gefahr nicht endgültig vorbei"

Hamburg (dpa). Ohne das vielfach befürchtete Chaos haben die Computeranlagen in aller Welt den Übergang ins Jahr 2000 gemeistert. Die Gefahr von Fehlfunktionen durch den Jahr-2000-Fehler sei aber noch nicht endgültig vorbei, sagten am Sonntag Computer-Experten wie Microsoft-Chef Bill Gates.

In der Silvesternacht kam es zwar vereinzelt zu kleineren Störungen, etwa in Atomanlagen in Japan oder bei der Auswertung von US-amerikanischen Spionagesatelliten. Aber fast überall rund um den Globus blieben die Lichter an, landeten die Flugzeuge sicher, und die Wasserversorgung arbeitete normal. Als einziges Land der Erde war der westafrikanische Staat Gambia von schweren Jahr-2000-Störungen betroffen.

"Die Leute haben eine Menge Zeit und Geld investiert, damit es in dieser Nacht ziemlich langweilig wird und nichts Dramatisches passiert", sagte Dale Vecchio, Experte der US-Technologie- Beratungsfirma GartnerGroup am Samstag. Unternehmen und Regierungen hatten nach Schätzungen der GartnerGroup weltweit 580 Milliarden Mark ausgegeben, um die Computeranlagen fit für den Datumswechsel zu machen. Die US-Marktforschungsfirma IDC schätzt den Betrag auf 620 Milliarden Mark. "Das Jahr-2000-Problem ist allerdings übertrieben worden", betonte IDC-Vizepräsident John Gantz in einem dpa-Gespräch.

Pessimisten hatten für die Silvesternacht weit reichende Probleme wie großflächige Stromausfälle, Verlust von Finanzdaten oder Fehlfunktionen in Chemiefabriken und Atomanlagen vorausgesagt, da die ältere Computersysteme das Jahr 2000 als 1900 interpretieren.

Auch in Deutschland kam es nicht zum befürchteten Zusammenbruch. Es habe keine relevante Ausfälle von Computersystemen gegeben, berichteten die Staatssekretäre Brigitte Zypries (Innenministerium) und Alfred Tacke (Wirtschaftsministerium) in Berlin. Sie führten das vor allem auf die guten technischen Vorbereitungen auf den Datumswechsel zurück.

Die Deutsche Telekom AG teilte mit, der Jahreswechsel sei ohne Störungen gelungen. "Bei uns läuft alles", sagte Telekom-Sprecher Ulrich Lissek in Bonn. Fest- und Mobilnetz seien in der Nacht aber stark belastet gewesen. Allein die Telekom hatte rund 300 Millionen Mark ausgegeben, um ihre Systeme auf das Jahr 2000 vorzubereiten. Auch die Mannesmann AG, Deutschlands größter Mobilfunkanbieter, bewältigte die Silvesternacht ohne Probleme.

Im öffentlichen Verkehr lief der Jahreswechsel ebenfalls reibungslos ab: "Es gab überhaupt keine Probleme", sagte Lufthansa- Sprecher Christian Klick in Frankfurt. Die Lufthansa hatte zur Zeit des Datumswechsels 48 Flugzeuge in der Luft, davon zahlreiche Maschinen auf Interkontinentalflügen. Die Computer-Systeme der Bahn AG bewältigten den Jahrtausendwechsel wie geplant. Alle Personenzüge wurden kurz vor Mitternacht für einige Minuten auf den Bahnhöfen festgehalten. Danach sei der Verkehr reibungslos weitergelaufen, teilte die Bahn AG in Frankfurt in der Nacht mit.

Ebenso fehlerlos arbeiteten die deutschen Energie-Anlagen nach dem Jahreswechsel: Bis zum Neujahrsmorgen habe es keinerlei Fehlermeldungen gegeben, teilte die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) mit. Auch werde in den kommenden Tagen nicht mehr mit Störungen gerechnet. Daher seien die von den Energieversorgern abgesprochenen Notfallregelungen seit Samstag 04.00 Uhr aufgehoben, erklärte VDEW-Hauptgeschäftsführer Eckhard Schulz in Frankfurt.

Auch die rund 3 000 Banken in Deutschland blieben vom Jahr-2000- Problem verschont. Die Geldautomaten gaben auch nach Mitternacht noch Geld heraus. "Es wird uns fast schon langweilig", sagte Gisela Hawickhorst, Sprecherin der Commerzbank AG, zur Arbeit im "Y2K- Zentrum" des Geldinstituts. Ähnliche Erfahrungen machte die deutsche Niederlassung des weltgrößten Software-Konzerns Microsoft. "Wir hatten in der Nacht einen einzigen Anruf in unserem Call-Center, um den sich dann 83 Mitarbeiter fast geprügelt haben", sagte Kurt Braatz, Sprecher der Microsoft GmbH der dpa. Bei der bundesweiten Betreuung der Nutzer von IBM-Personalcomputern in Erfurt wurde allerdings am Samstagvormittag ein erhöhtes Aufkommen von Ratsuchenden verzeichnet. "Die Leute schalten jetzt ihre Computer ein und prüfen sie", sagte der Leiter der Computer Services GmbH, Ramon Somoza.

Die Verantwortlichen in Deutschland hatten den Jahreswechsel entspannt erwartet, nachdem zuvor aus Neuseeland, Australien und Asien die ersten guten Nachrichten eintrafen. Nur aus Japan wurden zunächst kleinere Probleme gemeldet. Bis zum Sonntag waren aber auch die Störungen in einem Atomkraftwerk der zentraljapanischen Provinz Ishikawa beseitigt. Dort waren in der Silvesternacht durch das Jahr- 2000-Problem das Daten-Kontrollsystem zur Überwachung des Strahlenniveaus ausgefallen. Das Computersystem zur Überwachung von Strahlenwerten in der Umgebung des am Japan-Meer gelegenen Atommeilers Shika hatte nach dem Datumswechsel plötzlich aufgehört, Messdaten an die zuständigen Behörden zu übertragen.

Schwer betroffen von Jahr-2000-Problem war nach einem Bericht des International Y2K Cooperation Center in Washington die kleine westafrikanische Nation Gambia. Dort sei in der Silvesternacht die Stromversorgung zusammengebrochen. Die habe dort auch den Flug- und Seeverkehr stark beeinträchtigt.

Nach dem insgesamt guten Verlauf der Silvesternacht stehen die Computer in aller Welt insbesondere am Montag (3. Januar) vor einer Bewährungsprobe, wenn nach den Feiertagen für viele Menschen wieder die Arbeit beginnt. "Es gibt noch etliche Probleme, die bislang nicht entdeckt worden sind", sagte Bill Gates, Chef der weltgrößten Softwarefirma Microsoft. "Da gibt es noch etwas Durcheinander, das aufgeräumt werden muss."

Auch der Datenexperte Prof. Jan Knop, Mitglied der Bundeskommission zum Schutz kritischer Informationssysteme, warnte vor verfrühter Freude über den reibungslosen Übergang ins neue Jahr. "Am Montag wird es noch einmal spannend", sagte Knop. Dann fahren die meisten Unternehmen ihre Computer erst wieder hoch. Bisher mussten sich insbesondere erst Kraftwerke und Telefonnetze als 2000-tauglich erweisen", sagte der Leiter des Uni-Rechenzentrums Düsseldorf der dpa.

IDC-Vizepräsident John Gantz geht ebenfalls davon aus, dass einige Auswirkungen des Jahr-2000-Problems erst in den kommenden Wochen und Monaten auftauchen werden. "Dann müssen sich Unternehmen mit widerspenstigen Bürosystemen, Durcheinander im Rechnungswesen und fehlerhaften Datenerfassungs-Anwendungen befassen", erklärte Gantz. "Es sind Anwendungsprogramme tief in den Eingeweiden der Durchschnittsfirmen, die noch Hilfe benötigen", betonte der US- Experte.

Wie der Regierungsbeauftragte für das Jahr-2000-Problem, John Koskinen, in Washington sagte, gab es bei sieben zivil genutzten Atomreaktoren geringfügige Schwierigkeiten. Die Sicherheitssysteme seien dabei nicht betroffen gewesen. Vielmehr seien Fehlfunktionen bei der Zugangskontrolle zu den Anlagen und bei der Verarbeitung von Wetterdaten aufgetreten. Die Mängel seien schnell behoben worden.

Der stellvertretende Verteidigungsminister John Hamre berichtete, in einer Bodenstation für die Verarbeitung von Daten der US- Spionagesatelliten sei ein Fehler aufgetreten. Die Satelliten selbst seien jederzeit unter Kontrolle gewesen.

(RPO Archiv)
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