Gaucks starkes Signal Nach Misshandlungsvorwürfen von Julia Timoschenko verzichtet der Bundespräsident auf eine Reise in die Ukr

Berlin Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig miteinander sprechen – das ist die Devise, an der sich die deutsche Diplomatie seit Jahrzehnten ausrichtet. Das hat Berliner Alleingängen beim Kontakt mit boykottierten Regimen schon manchen Rüffel eingebracht. Umso mehr lässt die Ankündigung von Bundespräsident Joachim Gauck aufhorchen, der eine Einladung in die Ukraine ausschlug. "Ein starkes Signal", lautete die zustimmende Reaktion in Regierung und Opposition.

Dahinter steckt indes kein Alleingang des Staatsoberhauptes, auch wenn es auf einen neuen Stil des neuen ersten Mannes der Republik hinweisen könnte. Doch die Reise-Planung des Präsidenten läuft stets in enger Abstimmung mit der Regierung. Und dort wird schon seit Wochen nach Möglichkeiten gesucht, die Signale in Richtung Kiew zu verstärken, wenn sich der zweifelhafte Umgang der Behörden mit der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko nicht bessert.

Und der hat sich laut Timoschenko sogar noch verschlechtert. Ihr seien nicht nur Behandlungen ihres Rückenleidens verweigert worden, vielmehr sei sie misshandelt worden. Davon zeugten Blutergüsse. Seit Tagen ist sie in einem Hungerstreik. Die Bundesregierung wiederholte daraufhin ihr Angebot, Timoschenko auszufliegen und in der Berliner Charité wegen ihres chronisch gewordenen Bandscheibenvorfalls behandeln zu lassen.

Die Absage Gaucks zu dem Treffen zentraleuropäischer Staatsoberhäupter auf der Krim lag insofern in der Luft, als es noch keine Zusage gegeben hatte. Gauck zieht also keine Reiseplanung zurück, was auf der diplomatischen Eskalationsleiter höher angesiedelt gewesen wäre. Aber der mit Kanzler- und Außenamt abgesprochene Reiseverzicht lässt sich für die Berliner Diplomatie nun als zusätzlicher Hebel einsetzen. So konnte das Kanzleramt im direkten Kontakt mit der Ukraine klar machen, dass es Kiew selbst in der Hand habe, wie viel Prominenz Staatschef und Timoschenko-Gegner Viktor Janukowitsch zur Europameisterschaft begrüßen kann. Entsprechende Signale über eine ebenfalls noch nicht feststehende Reise der Bundeskanzlerin zur EM in die Ukraine bekamen dadurch noch mehr Nachdruck. Längst geht es auch um die Frage, ob die EM boykottiert werden sollte. "Kein Bundestagsabgeordneter sollte in dieser Situation EM-Spiele in der Ukraine besuchen", forderte Grünen-Chefin Claudia Roth – und will mit gutem Beispiel vorangehen.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) indes will fahren – diese Reise aber dazu benutzen, sich persönlich ein Bild davon zu machen, ob die Ukraine den Umgang mit Timoschenko verbessert. "Ich erwarte, dass die Ukraine im eigenen Interesse sicherstellt, dass Frau Timoschenko eine umfassende medizinische Versorgung bekommt", sagte Friedrich unserer Zeitung. Er beabsichtige, bei der Fußball-Europameisterschaft zum Spiel Deutschland gegen Niederlande in Charkiw zu fahren. "Sollte Frau Timoschenko bis dahin noch in Haft sein, möchte ich mit ihr sprechen", betonte der auch für den Sport zuständige Minister.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erhöhte ebenfalls den Druck. "Dass die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte die Vorwürfe von Misshandlungen bestätigt hat, verstärkt meine große Sorge über die Gesundheit von Julia Timoschenko", sagte Westerwelle unserer Zeitung. Er erwarte, dass die im Raum stehenden Vorwürfe unverzüglich und restlos aufgeklärt würden: "Ich fordere die Ukraine auf, dafür Sorge zu tragen, dass Frau Timoschenko und andere oppositionelle Häftlinge gut behandelt werden und endlich auch medizinisch angemessene Betreuung erhalten."

(RP)
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