Birthler kündigt umfassende Aufklärung an Gauck-Behörde: Kranke Mitarbeiter durch verseuchte Stasi-Akten

Berlin (dpa). Die Staatssicherheit hat nicht nur mit radioaktiven Substanzen Gegner und Unbeteiligte bespitzelt, sondern auch gesundheitsgefährdende chemische Substanzen eingesetzt. "Das ist eine besonders abscheuliche Hinterlassenschaft", sagte die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, am Mittwoch in Berlin. In den vergangenen Monaten hätten sich drei Mitarbeiter bei der Erschließung verseuchter Papiere in den ehemaligen Stasi-Archiven Vergiftungssymptome wie Magen-Darm- Erkrankungen, Nasenbluten und Schlaflosigkeit zugezogen.

Gefunden wurde ein Dutzend Aktenbündel mit Proben von chemischen Substanzen und mit Chemikalien durchtränkte Papiere. Seit Frühjahr 1999 wurden die Dokumente von fünf mit Handschuhen und Schürzen ausgestatteten Mitarbeitern gesichtet. Auf einem Blatt habe sich die Aufschrift gefunden: "Mit Gift beschichtetes Papier." Zudem seien möglicherweise bei der Auflösung der Stasi auch chemische Substanzen zusammen mit Papieren in Säcke geschüttet worden und hätten so die Durchsetzung hervorgerufen.

Obwohl im März dieses Jahres wegen möglicher Gefährdungen die Arbeiten abgebrochen wurden, sei teilweise auf eigene Faust weiter recherchiert worden, sagte Birthler. Sie habe erst seit einer Woche Kenntnis davon. Sie kündigte eine umfassende Aufklärung zum Umgang mit den verseuchten Stasi-Akten an. Auch Insider-Kenntnisse der Stasi sollten genutzt und mögliche Pflichtverletzungen in ihrer Behörde untersucht werden, sagte Birthler. Sie hatte erst im Oktober die Nachfolge von Joachim Gauck als Bundesbeauftragte angetreten. Bereits früher war bekannt geworden, dass die Stasi auch mit radioaktive Substanzen umgegangen war.

Ein Mitarbeiter der Behörde hatte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" berichtet, ihm habe es beim Umgang mit den Dokumenten buchstäblich die "Gummihandschuhe weggeätzt". Die Akten, die jetzt extra gesichert wurden, gehörten zum so genannten Operativ- Technischen Sektor des früheren Ministeriums für Staatssicherheit. Dieser Bereich mit mehr als 1 000 hauptamtlichen Geheimdienstlern war die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Stasi-Ministeriums. Die Abteilung hinterließ 550 Meter Akten.

Die Geheimdienst-Abteilung habe Mittel zum Besprühen von Oppositionellen entwickelt, um so deren Kontakte zu verfolgen, berichtete der Leiter der Arbeitsgruppe "Röntgenstrahlen" in der Bundesbehörde, Bernd Eisenfeld. Auch Mittel für Geheimschriften zum Präparieren von Papier wurden entwickelt, um den Postverkehr zwischen Ost und West sowie westliche Geheimdienste auszukundschaften. Die Stasi habe mit rund 50 verschiedenen Präparaten gearbeitet.

Das Bundeskriminalamt, das nach der Entdeckung der chemischen Substanzen eingeschaltet wurde, halte eine Erforschung der Papiere unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen für möglich. Auch das Bundesgesundheitsministerium sei jetzt eingeschaltet worden.

(RPO Archiv)
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