Berlin Gabriel sucht nach Erfolgsrezept für SPD

Berlin · Der Parteitag sollte ein Signal an die Mitte der Gesellschaft senden. Der Vorstand wollte eine Partei zeigen, die auf Wirtschaftskurs steuert und mit Familien im Blick auch die 30 Prozent erreichen kann. Doch jetzt ist Flüchtlingskrise.

Die alten Damen und Herren der Sozialdemokratie wollten beim Parteitag ihrer SPD ein modernes Konzept verpassen: die Wahl des Kanzlerkandidaten durch die Parteibasis. Der Antrag der Arbeitsgemeinschaft 60 plus hat aber keine Chance, diskutiert zu werden. Zu früh, sich für 2017 festzulegen, heißt es von der Parteispitze. Außerdem sind in der Führungsriege ohnehin die meisten davon überzeugt, dass es auf Parteichef Sigmar Gabriel hinauslaufen wird, der sich freilich zu dem Thema offiziell nicht äußert. Zu früh.

Eigentlich wollte der SPD-Chef diesen Parteitag nutzen, seine Sozialdemokraten noch etwas mehr in die Mitte zu rücken, Wirtschaftskurs und Familienpolitik für das liberale Bürgertum. Gabriel hätte den Parteitag gerne zum Auftakt genommen, seine SPD aus dem Umfragetief von 25 Prozent zu holen. Auch wenn die SPD angesichts der Konkurrenz von Grünen und Linken sich nicht der Illusion hingibt, bald noch einmal an die 40 Prozent heranzukommen, so könnten bei einer geschickten Platzierung der Sozialdemokraten in der politischen Mitte doch 30 Prozent drin sein.

Aber die Flüchtlingskrise verhagelt Gabriel den Plan, mit der inhaltlich-strategischen Aufstellung für 2017 zu beginnen. Als Regierungspartei ist die SPD schlicht Krisenmanager, und obwohl es Gabriel gelingt, in der Flüchtlingspolitik mit Herz und Verstand zu agieren, hilft dies der SPD nicht. Instrumentalisieren kann Gabriel die Krise auch nicht. Der Parteichef ist stolz darauf, dass die SPD in der Asylpolitik einen klaren Kompass habe. Doch vor Parteifreunden steht er im Spagat zwischen jenen Genossen, die Deutschland als weltoffenes Aufnahmeland sehen, und jenen, die sich angesichts ungesteuerter Zuwanderung um den eigenen bescheidenen Wohlstand sorgen.

Gegen eine Debatte um die Wahl des Kanzlerkandidaten spricht zudem, dass Gabriel der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, beim SPD-Parteitag eine herausgehobene Rolle geben will. Sie soll am 13. März bei der Landtagswahl Rheinland-Pfalz als Bastion der SPD verteidigen - eine schwierige Aufgabe angesichts der erstarkenden CDU und der smarten Herausforderin Julia Klöckner.

Der Leitantrag zur Flüchtlingspolitik, den Dreyer in ihrer Parteitagsrede bewerben wird, enthält auch eine Reihe von Forderungen, die die Union als Koalitionspartner provozieren werden. So fordert die SPD Schutzstatus und Bleiberecht für Bürgerkriegsflüchtlinge. Sie sollen kein Asylverfahren mehr durchlaufen müssen. Ebenso dürfte die Forderung, dass junge Asylbewerber nicht nur in der Ausbildung einen geschützten Status erhalten, sondern zudem nach abgeschlossener Ausbildung "dauerhaft bleiben können", für reichlich Diskussionsstoff in der Koalition sorgen.

Der Parteitag findet unter dem Motto "Deutschlands Zukunft - sicher, gerecht, weltoffen" statt. Rund 600 Delegierte aus dem gesamten Bundesgebiet werden von morgen bis Samstag über mehr als 900 Anträge entscheiden, der Katalog dazu ist so dick wie ein Telefonbuch. Von international umstrittenen Themen wie dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP bis zur Frage, ob Autos in Deutschland künftig nur noch mit eingeschaltetem Licht fahren dürfen, sollen Beschlüsse gefasst werden. Die wichtigsten Themen sind jedoch mit Abstand Außen- und Sicherheitspolitik, Familie und digitales Leben. Die Bundesminister Frank-Walter Steinmeier (Außen), Manuela Schwesig (Familie) und Andrea Nahles (Arbeit und Soziales) werden Reden halten und die Leitplanken ziehen: Es braucht einen Bundeswehreinsatz in Syrien, das Ehegattensplitting gehört zugunsten eines Familiensplittings reformiert, und die Arbeit von zu Hause muss im Zuge der vierten industriellen Revolution deutlich erleichtert werden.

Seine Grundsatzrede hält Gabriel am Freitag, bevor er sich als Parteichef wiederwählen lassen will. Der Leitantrag "Wir schreiben Deutschlands Zukunft" soll ihm als Aufhänger dienen. Er soll nach den Worten der scheidenden Generalsekretärin Yasmin Fahimi eine "mehrmonatige Programmdebatte" anstoßen, unter der Leitung der innerparteilich glänzend dastehenden Manuela Schwesig und des Chefs der Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann.

(jd / qua)
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