Analyse zum G20-Gipfel Gespaltene Weltregierung

Berlin · G20-Gipfel sind teuer, die Staats- und Regierungschefs reden nur und handeln nicht. Protest ist programmiert. Das Format ist dennoch gut. Es ist eine seltene Gelegenheit, Risse zu kitten. Nur funktioniert das derzeit nicht.

G20 Gipfel in der Krise
Foto: AP/Gustavo Garello

Die Bilder bleiben in Erinnerung: Linksradikale Gewalttäter legen das Hamburger Schanzenviertel in Schutt und Asche, während die Staats- und Regierungschefs in der Elbphilharmonie Beethovens Neunte hören. An den Brennpunkt in der Stadt eilt keiner von ihnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat genug damit zu tun, die schwierigen Gesprächspartner für diesen zweitägigen G20-Gipfel im Sommer 2017 zusammen zu halten. Aber auch der damaliger Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) geht nicht dorthin, wo es im Wortsinn kracht und scheppert. Er bedauert anschließend zwar, dass der Staat die Bewohner des Viertels nicht habe schützen können, aber deswegen tritt er nicht zurück. Stattdessen wird er später Merkels Finanzminister.

Der G20-Gipfel in Hamburg war keine Erfolgsbilanz. Die Absichtserklärung der 19 Industrie- und Schwellenländer sowie der EU – Beschlüsse fassen sie in diesem Format nie – ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Afrika soll Hilfen bekommen, die Digitalisierung vorangetrieben und die Erwerbstätigkeit von Frauen gefördert werden. Nur mit Mühe konnten die Sherpas das bis dahin immer selbstverständliche Bekenntnis zu Freihandel und Kampf gegen Protektionismus im Abschlusskommuniqué retten - trotz der „America first“-Doktrin von US-Präsident Donald Trump. Aber es kam zum Novum, vor dem sich viele zuvor gefürchtet hatten: In puncto Klimaschutz gab es keine Einstimmigkeit, denn Trump war zuvor aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen. So endete das Treffen mit einem 19:1-Ergebnis. Merkel hielt es für beachtlich, dass die USA isoliert wurden und sich die anderen solidarisierten. Aber für die Gipfel-Philosophie war das ein herber Rückschlag.

Beim G20-Gipfel am Freitag und Samstag in Buenos Aires wird es darauf ankommen, ob der Riss tiefer oder unter argentinischer Präsidentschaft wieder ein Stück gekittet wird. Es gilt, diesen Eindruck von vergangenen Treffen zu entkräften: Sündhaft teure Gipfel - Deutschland gab mehr als 70 Millionen Euro dafür aus -, wohlfeile Absichtserklärungen, fortschreitende Spaltung. Die Probleme in der Welt sind aber dramatisch. 

Trump betreibt weiterhin eine aggressive Handelspolitik, Chinas Staatschef Xi Jinping hält dagegen. Der Ukraine-Konflikt mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin eskaliert durch Moskaus Festsetzung ukrainischer Marineschiffe in der Meerenge zwischen Schwarzem Meer und Asowschen Meer. Die Europäische Union ist geschwächt durch den geplanten Ausstieg Großbritanniens, Saudi Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman wird verdächtigt, in die Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi verstrickt zu sein, Gastgeber Argentinien unter Mauricio Macri musste wegen der hohen Inflation und einer heftigen Währungsabwertung den ihm verhassten Internationalen Währungsfonds zu Hilfe rufen. In Italien und Brasilien sind mit Guiseppe Conte und Jair Bolsonaro Populisten an die Macht gekommen, die Trump zujubeln. Und die, auf die alle immer als Vermittlerin gebaut haben, wird nicht mehr lange dabei sein: Angela Merkel, die ihren Parteivorsitz abgibt und den Zeitpunkt für ihren Abschied als Kanzlerin für spätestens 2021 schon bekanntgegeben hat.

Einst als Finanzministertreffen für den Austausch über die Weltwirtschaft gegründet, übernahmen 2008 die Staats- und Regierungschefs das Gipfelformat als Reaktion auf die damalige internationale Finanzkrise. Seither wird auf höchster Ebene nicht nur über Geld und Handel gesprochen, sondern auch über aktuelle Krisen: Terror, Klimawandel, Migration, Ukraine-Konflikt. Es ist die einzige Gelegenheit, die Staatenlenker einmal im Jahr in einem solch großen Kreis um einen Tisch herum zu versammeln und das Wichtigste zu besprechen. Gerade mit einem US-Präsidenten wie Trump ist es für die anderen wichtig, geschlossen aufzutreten und gemeinsam Druck zu machen oder durch persönliche Kontakte Vertrauen zu gewinnen. Die Frage steht aber im Raum: Hat ein solcher Gipfel heute noch einen Sinn? Wird die Welt dadurch besser oder vielleicht noch schlechter?

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, sagt,  Trump erlebe gerade einen Kollateralschaden im eigenen Land. „General Motors muss ein Werk schließen, weil die Rohstoff-Importe durch die von Trump verhängten Zölle vor allem auf Stahl zu teuer geworden sind. Aus einer win-win-Situation hat Trump mit seinem Handelskrieg eine lose-lose-Situation gemacht. Der G20-Gipfel ist in erster Linie ein Wirtschaftsformat. Es ist zu hoffen, dass Trump dort die Chance zu einer Kurskorrektur nutzt.“ In Hamburg habe der US-Präsident erfahren, dass alle anderen an der multilateralen Weltordnung festgehalten hätten. Das sei das Wichtigste: „Dass die anderen Staaten in diesem G20-Format weiter zusammenhalten.“ Merkel will Trump zu einem persönlichen Gespräch treffen.

In Buenos Aires wird viel davon abhängen, wie stark die Weltgemeinschaft noch auf Merkel und ihr Krisenmanagement setzt. Sie selbst könnte ein déjà-vu haben: Beim Gipfel 2014 im australischen Brisbane ging es hauptsächlich um die Ukraine-Krise. Auch jetzt dürfte Merkel alles daran setzen, Druck auf Putin auszuüben - gemeinsam mit Frankreich. 2014 war auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu nächtlicher Stunde dabei. Gebracht hatte es dort nichts. Doch wenige Monate später startete Merkel eine Friedensinitiative, die im Minsker Abkommen mit Putin mündete. Das brauchte Vorlauf. Auch der G20-Gipfel spielte dabei eine Rolle. Das Format ist gut, auch wenn sich Erfolge erst später einstellen - und nicht mehr mit G20 in Verbindung gebracht werden.

(kd)
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