Analyse Für Obama wird Syrien zum Albtraum

Washington · In Syrien belässt es US-Präsident Barack Obama bislang bei eher symbolischen Schritten. Jetzt warnen sogar Parteifreunde, dass er mit der Entsendung von 50 Elitesoldaten auf eine gefährliche Rutschbahn gerät.

Analyse: Für Obama wird Syrien zum Albtraum
Foto: dpa, tm cs

Eigentlich würde Barack Obama jetzt gern über eine Strafrechtsreform reden. Es ist ein Thema, bei dem er noch etwas bewegen möchte, ehe er das Weiße Haus verlässt. Das Prinzip kompromissloser Härte will er infrage stellen, weil es paradox ist, dass in den USA pro Kopf der Bevölkerung deutlich mehr Menschen hinter Gittern sitzen als in jedem anderen westlichen Land. Aber dann wird er, in einem Interview mit dem Sender NBC News, natürlich wieder nach Syrien gefragt. Es ist das Thema, das der US-Präsident lange auszublenden versuchte und dessen Dramatik ihn nun mit aller Macht eingeholt hat.

Ob die Entsendung von 50 Elitesoldaten einen ersten Schritt hinein in den Sumpf eines Bürgerkrieges bedeute, aus dem so schnell kein Weg herausführe. Ob er sein Wahlversprechen gebrochen habe, ob nicht mehr gelte, dass sich Amerika militärisch fernhalten möge von nahöstlichen Konflikten, die es weder gewinnen noch lösen könne, wird er gefragt. "In Syrien kämpfen wir nicht, wie wir es im Irak taten, mit Bataillonen und einer Okkupation", sagt der Präsident. Außerdem schicke er keinen Soldaten an die Front, um gegen den Islamischen Staat (IS) zu kämpfen. Die Mimik dazu lässt an einen Patienten vor einer Wurzelkanalbehandlung denken. Man merkt, dass er schon mit dem symbolischen Schritt gegen seine eigenen Instinkte handelt, sich eher von den Ereignissen treiben lässt, statt Weichen zu stellen.

An Obamas inneren Überzeugungen hat sich auch nach fast sieben Jahren im Amt nichts geändert. Die Lehre des Irakkrieges müsste in seinen Augen schmerzhaft genug gewesen sein, um sie nicht in den Wind zu schlagen und bereits den nächsten Truppeneinsatz zu planen. Dazu das Kapitel Libyen: 2011 interveniert, heute ein gescheitertes Staatswesen. Im Kern sieht er es wie die Europäer, wenn letztere davor warnen, noch bestehende staatliche Strukturen in Syrien aufzulösen. Sein Außenminister John Kerry hat die Forderung nach dem bedingungslosen Rücktritt Baschar al Assads mittlerweile durch eine Art Stufenplan ersetzt. Demnach könnte der Diktator noch vier bis sechs Monate im Amt bleiben, bevor er einem Übergangspräsidenten Platz macht und in 18 Monaten neu gewählt wird. Doch jeder weiß: Solange Russen und Iraner an Assad festhalten, ist es eher ein frommer Wunsch als ein Plan.

Was nun eine kleine Kommandoeinheit bewirken soll, darauf kann auch das Pentagon keine überzeugenden Antworten geben. Nach der Skizze von Verteidigungsminister Ashton Carter wird sie unter anderem die "Syrisch-Arabische Koalition" unterstützen, eine Gruppe arabischer Sunniten, die im Bunde mit Kurdenmilizen die (sunnitische) IS-Hochburg Rakka erobern sollen. Der Name jener Koalition sei eine amerikanische Erfindung, berichtet derweil ein Reporter der "New York Times" aus dem syrischen Norden. Bei den 5000 Kämpfern, die man ihr zurechne, könne man - anders als bei den Kurden - kaum von einer effektiven militärischen Kraft sprechen.

Der Marschbefehl für die Special Forces steht aus Sicht republikanischer Hardliner für reinen Aktionismus, dafür, dass man nach Wladimir Putins Eingreifen irgendwie Flagge zeigt und irgendwas tut, ohne dass es sich einordnen ließe in ein tragfähiges Konzept. Eine "Taktik der Trippelschritte" werde der Größe der Aufgabe in keiner Weise gerecht, tadelt der republikanische Senator John McCain und wirft Obama vor, noch immer wie der Jurist zu denken, der er mal war: stets nur von Fall zu Fall, statt sich an einer langfristigen Strategie zu orientieren. McCains demokratischer Senatskollege Christopher Murphy dagegen spricht für eine starke Fraktion innerhalb Obamas eigener Partei, wenn er vor der gefährlichen Rutschbahn warnt, auf die sich das Land schon jetzt begeben habe. 50 Mann, von den Zahlen her sei das eher eine Fußnote, psychologisch bedeute es womöglich aber das Überschreiten des Rubikon, sagt Murphy.

Und dann ist da noch Jimmy Carter, der 91-jährige Altpräsident, der nur einen Lösungsansatz für realistisch hält: eine Verständigung mit Russland und Iran. Er kenne Baschar al Assad, der bewege sich nicht unter dem Druck des Westens, solcher Druck lasse ihn eher noch halsstarriger werden, schreibt Carter in einem Essay. Sein einziges Zugeständnis in über vier Bürgerkriegsjahren, der Verzicht auf Chemiewaffen, sei ihm auf Beharren Moskaus und Teherans abgerungen worden. Gleiches gelte also auch für eine Friedensregelung: Nur auf Drängen seiner Verbündeten könne Assads Herrschaft vielleicht "in einem geordneten Prozess" beendet werden.

(RP)
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