Analyse Freundschaftstreffen in Kiew

Düsseldorf · Angela Merkel betont bei ihrem Besuch in der Ukraine die territoriale Integrität des Landes und sagt Hilfen in Höhe von 500 Millionen Euro zu. Sie hofft auf einen Waffenstillstand, sobald eine wirkungsvolle Grenzkontrolle zu Russland gewährleistet sei.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war nicht ohne Grund zu einem Kurzbesuch in die Ukraine geeilt. Die schwere Krise im Land, die sich im Osten längst zu einem Regionalkrieg mit Separatisten entwickelt hat, ängstigt Europa seit Monaten. Spaltet sich das Land, nachdem sich schon die Krim gewaltsam aus der Hoheit der Zentralregierung in Kiew gelöst und sich hoffnungsvoll in die Obhut Russlands gegeben hat?

Die Gefahr besteht, dass den Separatisten im Osten der Ukraine Ähnliches vorschwebt. Der Kreml und sein Chef Wladimir Putin sehen das mit einer Portion Wohlwollen, denn eine Abspaltung der Region um die Städte Donezk und Lugansk würde den politischen und wirtschaftlichen Einflussbereich Moskaus massiv ausdehnen. Eine Abspaltung wäre aber auch ein bedrohliches Signal an all die Länder, in denen nach dem Zerfall der Sowjetunion weiter starke russische Minderheiten leben. Insofern geht in Europa die Angst um.

Die Merkel-Visite hatte politisch Gewicht: Sie wurde beäugt in Europas Hauptstädten, in Washington und vor allem im Kreml. Was macht die Kanzlerin diplomatisch, wie versucht sie die Krise zu dämpfen, wie geht sie mit Putin und dessen Politik ins Gericht?

Die Botschaft der Kanzlerin war dann auch vielen Ukrainern Balsam auf die gepeinigte Seele. Die territoriale Integrität der Ukraine sei ein wesentliches Ziel deutscher Politik, unterstrich Merkel. Wie dies zu gewährleisten ist, blieb naturgemäß offen. Dazu gibt es auch kein Rezept, dass die Kanzlerin auf den Tisch legen konnte. Sie weiß: Die Lösung der Krise ist kompliziert. Sie lässt sich nicht in einer Gesprächsrunde entschärfen oder gar lösen.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nannte Merkel eine "gute Freundin und starke Anwältin der Ukraine". Beide haben in den vergangenen zwei Monaten rund 20 Mal miteinander telefoniert. Mit dem bösen Buben Europas im Kreml, der als Drahtzieher der Krise den Westen immer wieder düpiert und auch vor einem Bruch des Völkerrechts nicht zurückschreckte, hatte Merkel seit Krisenbeginn 34 Mal gesprochen. Solche Statistik sagt allerdings wenig über die Qualität der Berliner Politik aus. Doch die Kanzlerin ist bekannt für uneitles, effektives Agieren in den Kulissen.

Der Wert des Besuches lag mehr im Psychologischen. Sie kam während einer politisch sensiblen Situation: nämlich einen Tag vor dem gestrigen ukrainischen Nationalfeiertag, an dem das Land seine Unabhängigkeit von Moskau vor 23 Jahren feierte; am 75. Jahrestag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes, mit dem beide Diktatoren politische Einflusssphären festlegten.

Merkels Botschaft an diesem denkwürdigen Tag: Es sei eine gute Entwicklung der Geschichte, dass sich Deutschland nicht mehr daran beteilige, historisches Unheil zu stiften. "Wir wollen, dass die Rechte der Ukraine gewahrt bleiben und dass baldmöglichst Frieden entsteht." Ein Waffenstillstand sei möglich, wenn eine effektive Grenzkontrolle zu Russland wieder gewährleistet sei.

Die Kanzlerin sagte Kiew Kreditgarantien in Höhe von 500 Millionen Euro zur Verbesserung der Infrastruktur in Donezk und Lugansk zu. Mit 25 Millionen Euro sollen Menschen unterstützt werden, die wegen der Kämpfe aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Ukraine setzt auf ihre "Anwältin" Merkel, die sich auch bei der EU in Brüssel für ein milliardenschweres Aufbaupogramm einsetzen soll.

Poroschenko will morgen im weißrussischen Minsk mit Putin sprechen. "Das Treffen wird sicherlich noch nicht den Durchbruch bringen", analysierte Merkel gestern in Berlin. Unnötige Reibungen mit Russland müssten vermieden werden.

Poroschenko setzt sich für ein gewisses Maß an Dezentralisierung ein, um den verschiedenen Regionen gerecht zu werden. Das könnte die Krisenlösung sein.

(RP)
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