Frankreichs Kandidatin

Christine Lagarde könnte die erste Frau auf dem Chefsessel des Internationalen Währungsfonds werden. Die französische Finanzministerin ist aber umstritten. In ihrer Heimat droht ihr ein Prozess.

PARIS Ihre offizielle Kandidatur an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) gab Christine Lagarde im dunklen Kostüm und, wie immer, mit einem distinguierten Lächeln um die Lippen bekannt: "Ich habe diese Entscheidung nach reiflicher Überlegung sowie nach Absprache und im Einverständnis mit dem französischen Präsidenten und dem Premierminister getroffen", sagte Frankreichs Noch-Finanzministerin vor Journalisten in Paris und sprach von einer "ungeheuren Herausforderung", die sie mit "viel Demut" angehen wolle.

Die 55-Jährige hat eigentlich die besten Voraussetzungen für den IWF-Chefposten: Sie kennt die Großen dieser Welt, spricht Englisch und ist ein Arbeitstier. Nach dem Rückzug von Dominique Strauss-Kahn an der IWF-Spitze galt Lagarde den Europäern sofort als Favoritin für das Amt. Der Name der ausgebildeten Juristin und Finanzmarkt-Kennerin war in den vergangenen Tagen häufig genannt worden. Die Französin mit dem silberweißen Haar genießt international Respekt. Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht ihr "große Wertschätzung" aus, lobt sie als "ausgezeichnete Persönlichkeit" und "sehr erfahrene Kandidatin". Vergessen scheinen die Verstimmungen, als Lagarde im vergangenen Jahr den deutschen Exportüberschuss kritisierte und forderte, Deutschland solle stärker die Inlandsnachfrage ankurbeln.

Auch in Frankreich eckte Lagarde zunächst erst an. "Es ist Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und arbeiten zu gehen", warf sie vor zwei Jahren ihren verdutzten, von Arbeitszeitverkürzung und zahlreichen Feiertagen verwöhnten Landsleuten zu und galt fortan als "L'Américaine"– die Amerikanerin. Die USA sind tatsächlich ihre zweite Heimat. Mit 18 ging sie mit einem Stipendium dorthin und stieg nach ihrer Juristenausbildung in Frankreich 1981 bei der renommierten US-Kanzlei Baker & McKenzie ein – erst in Paris, dann in Chicago, wo sie bald die erste Frau an der Spitze wurde. Eine Karriere, die sie mit zwei, damals noch kleinen Kindern gemeistert hat: "Ich erinnere mich, wie ich in der einen Hand meine Akten hielt, in der anderen das Fläschchen und mein Baby fütterte", erzählte sie einmal. Inzwischen sind die Kinder erwachsen und Lagarde zweimal geschieden. Heute lebt sie mit ihrem Jugendfreund, einem Unternehmer aus Marseille, zusammen.

In die Politik und nach Frankreich zurück kam Lagarde erst vor wenigen Jahren. 2005 klingelte plötzlich das Telefon in ihrem Chicagoer Büro: Dominique de Villepin, der damalige Premierminister unter Präsident Chirac, bot ihr das Außenhandelsministerium an. Geschmeichelt saß Lagarde am selben Tag im Flugzeug Richtung Paris. Zwei Jahre später wechselte sie, nach einem Abstecher ins Agrarressort, als Frankreichs erste Frau an die Spitze des Finanzministeriums. In ihre Amtszeit fielen die internationale Finanzkrise und die zuletzt milliardenschwere Euro-Rettungsaktion. Die britische Tageszeitung "Financial Times" wählte sie 2009 zur besten Finanzministerin Europas, das Magazin "Forbes" listete sie auf Platz 17 der einflussreichsten Persönlichkeiten weltweit.

Eines der Geheimnisse der stets elegant gekleideten Französin: Sie braucht nur wenige Stunden Schlaf und treibt viel Sport. Sie gehörte einst zu den besten Synchronschwimmerinnen Frankreichs. Sie hat aber auch ein Problem: Weil sie vor drei Jahren einer staatlichen Millionenabfindung für den umstrittenen Geschäftsmann Bernard Tapie zustimmte, könnte ihr in der Heimat ein Prozess wegen Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Gelder bevorstehen. Am 10. Juni will die Justiz bekanntgeben, ob sie in der Affäre eine Untersuchung gegen sie einleitet. Am selben Tag endet die Frist für die Nominierung der Kandidaten für die IWF-Spitze. "Sollte ich den Posten bekommen", sagte Lagarde gestern, "werde ich meine Erfahrung einbringen, als Anwältin, als Unternehmenschefin, als Ministerin und als Frau". Sie wäre die erste Frau auf dem IWF-Chefsessel. Doch einen französischen IWF-Direktor, der erneut Ärger mit der Justiz hat, wünscht sich wohl niemand.

(RP)
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