Bruno Le Maire "Frankreich braucht dringend eine Schocktherapie"

Düsseldorf · Sarkozys einstiger Minister Bruno Le Maire sieht Verbesserungsbedarf im deutsch-französischen Verhältnis. Von seinen Landsleuten verlangt er Reformwillen.

Bruno Le Maire (45) war unter Staatspräsident Nicolas Sarkozy von Ende 2008 bis Mitte 2012 zunächst Beauftragter für die deutsch-französischen Beziehungen und dann Agrarminister. Im Herbst will er für den Vorsitz der konservativen UMP kandidieren.

Monsieur Le Maire, stimmt der Eindruck, dass die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland schon einmal besser waren?

Le Maire Ja, und das bereitet mir ernsthafte Sorge. Ich bin ein großer Freund Deutschlands, aber damit bin ich unter Frankreichs Politikern zu einer Ausnahme geworden. Viele meiner Landsleute sehen heute entweder mit Gleichgültigkeit oder aber mit Furcht nach Deutschland.

Woran liegt das?

Le Maire Der wichtigste Grund dafür ist die gewaltige wirtschaftliche Kluft, die sich zwischen unseren Ländern aufgetan hat. Deutschland und Frankreich sind nicht mehr auf Augenhöhe - das tut keiner Beziehung gut. Deswegen müssen wir in Frankreich unsere Wirtschaftsprobleme in den Griff bekommen. Es geht dabei um unsere Glaubwürdigkeit gegenüber Deutschland.

Wie soll das gelingen?

Le Maire Wir müssen endlich die Reformen durchführen, zu denen sämtlichen französischen Regierungen der letzten 20 Jahre der Mut gefehlt hat. Auch die Schritte, die jetzt von Präsident François Hollande angekündigt wurden - wenn sie denn jemals auch so umgesetzt werden -, kommen zu spät und werden nicht ausreichen. Ich bin fest überzeugt davon, dass Frankreich heute so weit ist, dass es dringend eine Schocktherapie braucht. Das Herumdoktern an den Problemen hilft nicht mehr.

Wie soll das gelingen? Ihre Landsleute sind doch immer sehr schnell zum Protest auf der Straße...

Le Maire Ich bin davon überzeugt, dass die Franzosen Einschnitte akzeptieren würden, wenn man ihnen erklärt, warum gewisse Opfer nötig sind. Dass sich dadurch auch etwas verbessern kann in ihrem Leben. Heute haben viele Menschen den Eindruck, dass man ihnen etwas wegnimmt, ohne dass dahinter eine politische Vision steckt. Sparen nur um des Sparens willen - das ist schwierig zu vermitteln.

Die sozialistische Regierung in Paris möchte den Sparkurs in Europa gerne lockern. Mit gutem Grund?

Le Maire Nein, solange wir nicht endlich ernst machen mit dem Kampf gegen die Staatsverschuldung. Seien wir realistisch: Es ist völlig ausgeschlossen, dass Frankreich die Defizit-Grenze schon 2015 oder 2016 einhalten kann. Wir werden einen weiteren Aufschub benötigen - aber den werden wir nur bekommen, wenn wir glaubwürdig machen, dass wir uns anstrengen.

Der rechtsextreme Front National ist bei den Europawahlen stärkste politische Kraft in Frankreich geworden - nur eine Protestwahl oder mehr?

Le Maire Ich fürchte, das ist Ausdruck einer tiefen politischen Glaubwürdigkeitskrise. Wenn wir nichts dagegen tun, könnten die Rechtsextremen bei der Präsidentenwahl 2017 sogar 45 Prozent holen.

M. BEERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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