Paris Frankreich bangt um sein Rating

Paris · Die Herabstufung durch Standard & Poor's war nur eine technische Panne. Das ändert aber nichts daran, dass unser Nachbar Gefahr läuft, sein AAA-Rating zu verlieren. Die Verschuldung ist zu hoch, ausreichend Wachstum ist nicht in Sicht. Das Sparprogramm könnte zu klein sein.

Seit Beginn der Finanzkrise stehen die Rating-Agenturen mit in der Schusslinie. Da kommt eine technische Panne wie jetzt im E-Mail-Versand bei Standard & Poor's ganz schlecht. Die E-Mail der Bonitätswächter, die Frankreichs Kreditwürdigkeit versehentlich herunterstuften, hat große Aufregung ausgelöst – an den Finanzmärkten, wo französische Staatsanleihen abrupt an Wert verloren, und bei den europäischen Spitzenpolitikern. Von mehr Kontrolle der Rating-Agenturen ist die Rede, von einem "ernsthaften Zwischenfall" und von Konsequenzen, die der Fauxpas haben müsse.

Standard & Poor's hatte am Donnerstag eine Mitteilung an Kunden verschickt, wonach Frankreich seine Top-Bonität verloren hatte. Erst anderthalb Stunden später kam die Korrektur. Für die Kritiker der Bonitätswächter ein gefundenes Fressen: "Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich die Rechenfehler in letzter Zeit häufen. Wir kritisieren schon seit Längerem das Geschäftsmodell der Rating-Agenturen. Es handelt sich schließlich um ein In-sich-Geschäft: Auf der einen Seite bewerten die Rating-Agenturen, auf der anderen machen sie Geschäfte – da sehe ich einen Interessenskonflikt", sagte DGB-Bundesvorstand Claus Matecki unserer Zeitung. "Die Europäer sollten den amerikanischen Rating-Riesen eine eigene Einrichtung entgegensetzen."

Die politische Erregung überlagert die ökonomische Realität. Frankreichs Kreditwürdigkeit ist zwar nicht gesunken. Aber Experten sehen durchaus die Gefahr, dass Standard & Poor's den Daumen in absehbarer Zeit doch noch senken könnte. Ein Grund: "Frankreichs Verschuldung ist viel zu hoch, und sie wird vermutlich sogar zunehmen", sagt Torge Middendorf, Analyst der WestLB. In Zahlen heißt das: In diesem Jahr wird der Schuldenstand 85 Prozent der französischen Wirtschaftsleistung betragen, im kommenden Jahr fast 90. Der Maastricht-Stabilitätsvertrag erlaubt nur 60 Prozent. Diese Grenze reißt zwar auch Deutschland deutlich. Doch hierzulande geht der Trend nach unten: 2011 soll die Schuldenquote bei 81, im nächsten Jahr nur noch bei 79,5 Prozent liegen, wie Middendorf sagt.

Die Abschwächung der Konjunktur macht alles noch schwieriger. Frankreich hat zuletzt ein Sparprogramm aufgelegt, mit dem das Staatsdefizit bis 2013 auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung sinken soll. Das ist der strengste Sparhaushalt seit 1945, und doch ist sich Middendorf nicht sicher, ob damit das Haushaltsziel erreicht werden kann. Frankreichs Defizitquote sollte von sieben Prozent im vergangenen auf 5,5 Prozent in diesem Jahr sinken, aber eine weitere Rückführung wäre schwierig, wenn Europa tatsächlich eine neue Rezession durchmachen müsste. Ganz abgesehen davon, dass mögliche Milliardenspritzen für die französischen Banken den Staat noch zusätzlich belasten könnten.

Immerhin dürften sich einige Befürchtungen im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen erledigt haben. Da war nämlich bereits geunkt worden, der sozialistische Kandidat François Hollande könnte bei einem Wahlsieg die Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre rückgängig machen. Doch Hollande hat ebenfalls rigides Sparen ausgerufen. Wenn Frankreichs Top-Rating in Gefahr gerät, ist für parteipolitisches Kalkül kein Platz mehr. Fragt sich nur noch, ob Standard & Poor's das auch auf Dauer goutiert.

(RP)
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