Heftige internationale Reaktionen auf TV-Bilder von Massengräbern Fischer: "Verantwortliche für zur Rechenschaft zu ziehen"

Moskau/Washington/Berlin/München (dpa). Die Fernsehbilder von angeblichen russischen Gräueltaten in Tschetschenien haben sowohl im Westen als auch in Russland heftige Reaktionen ausgelöst. US- Präsident Bill Clinton und die EU forderten Russland auf, internationalen Beobachtern uneingeschränkten Zugang zu der abtrünnigen Kaukasus-Provinz zu geben. Bundesaußenminister Joschka Fischer verlangte, die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Bis Sonntag gab es in Moskau keine offizielle Reaktion auf die Forderungen.

Moskau bestritt jedoch vehement, die russische Armee habe sich in Tschetschenien Menschenrechtsverstößen schuldig gemacht. Die russische Zeitung "Iswestija" behauptete am Samstag, die Aufnahmen seien nicht von dem deutschen Korrespondenten des Nachrichtensenders N24 selbst, sondern von einem russischen Journalisten gemacht worden.

Die Aufnahmen zeigen Massengräber in der Ortschaft Gajty westlich von Grosny. In dem Beitrag ist zu sehen, wie Körper getöteter Tschetschenen an Seilen hinter Lastwagen zu den Gräbern geschleift wurden. Im Kommentar dazu hieß es, die Leichen seien zum Teil verstümmelt und wiesen Zeichen von Folterungen auf. Nach Meinung des N24-Reporters Frank Höfling seien viele der Rebellen "hingerichtet" worden. Dem widersprachen der Kreml und "Iswestija". Die Aufnahmen stammten zwar aus Tschetschenien und seien echt; bei den Toten handele es sich jedoch um Rebellen, die bei Kämpfen gefallen seien, nicht um Folteropfer, sagte Kreml-Sprecher Sergej Jastrschembski.

Außenminister Fischer forderte eine sofortige und gründliche Untersuchung des Vorfalls. Russland müsse jetzt vor allem internationale Beobachter zulassen, die die Vorwürfe aufklären könnten, teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit. Der britische Außenminister Robin Cook verlangte ebenfalls eine sofortige Untersuchung im Zusammenhang mit den Fernsehbildern. "Dies ist genau die Art von Ereignis, über die wir sämtliche Fakten wissen müssen, um darauf reagieren zu können", wurde Cook zitiert.

Nach Angaben von N24 wurde Höfling inzwischen die Akkreditierung für Tschetschenien entzogen. Der Sender versuche, Höfling aus dem Krisengebiet herauszuholen. "Die Lage ist nicht ungefährlich für ihn", hieß es in einer Mitteilung des Senders in München.

Unterdessen brach am Sonntag der Menschenrechtskommissar des Europarates, Alvaro Gil-Robles, nach Tschetschenien auf. Er sollte am Montag die von russischen Truppen eroberte Hauptstadt Grosny und Flüchtlingslager besuchen. Gil-Robles zweifelte, ob er Zutritt zu den so genannten Filtrationslagern für Tschetschenen bekommen würde, aus denen immer wieder von Misshandlungen berichtet worden war. "Ich hätte aber nichts dagegen, etwa das Lager Tschernokosovo zu besuchen", wurde er von der Agentur Interfax beim Abflug aus Moskau zitiert. Gil-Robles wurde vom russischen Menschenrechtsbeauftragten für Tschetschenien, Wladimir Kalamanow, begleitet.

N24 wehrte sich gegen die Vorwürfe, die Aufnahmen seien nicht vom eigenen Reporter gedreht und gäben ein falsches Bild wieder. Korrespondent Höfling habe in Tschetschenien selbst das Massengrab entdeckt, sagte ein Sprecher des Senders. Die umstrittenen Bilder habe er selbst mit seinem Kameramann gefilmt. "Iswestija" hatte in einem ganzseitigen Beitrag am Samstag die Vermutung geäußert, mit der Verbreitung des "verfälschten" Beitrags habe der deutsche Korrespondent "das Rating seiner neu gegründeten Gesellschaft anheben wollte". N24 hatte am 24. Januar mit seinem Programm begonnen.

In Tschetschenien legte die russische Armee nach tagelangen Kämpfen in der Argun-Schlucht eine Pause ein, um die Truppenverbände für weitere Angriffe neu zu formieren. Nach Darstellung des stellvertretenden Kommandeurs der russischen Kaukasus-Truppen, General Gennadi Troschew, kontrollierten die Rebellen inzwischen nur noch ein Prozent des Territoriums von Tschetschenien. Allerdings erwartete Troschew weitere schwere Kämpfe, da gerade die Argun- Schlucht "ideales Gelände zur Verteidigung" biete.

(RPO Archiv)
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