"FDP wird doch gebraucht"

In einem Gastbeitrag begründet Friedrich Merz, der frühere Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, warum die Liberalen für die parlamentarische Demokratie wichtig sind.

Noch drei Prozent! Es ist nicht zu fassen, aber ganze drei Prozent der Wählerinnen und Wähler würden die FDP noch wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären. Nun sind am nächsten Sonntag keine Bundestagswahlen, und erratische Ausschläge in den Umfragen müssen noch keine bundesweiten Wahlergebnisse werden. Aber von 14,6 Prozent bei den letzten Wahlen im Herbst 2009 herunter auf drei Prozent in der Momentaufnahme der Umfrage im Frühjahr 2011 – das ist schon heftig.

Was ist mit dieser Partei passiert, die bei der letzten Bundestagswahl noch klar vor den Grünen lag und die jetzt zusehen muss, wie eben diese Grünen bald das Zehnfache erreicht haben? Warum taumelt die FDP gerade in der "Traumkoalition" auf ein so miserables Ansehen herab? So einen Absturz einer Partei hat es jedenfalls in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin und bleibe Christdemokrat. Mein Mitleid mit der FDP hält sich in Grenzen. Die Partei und ihre Führung haben in der Regierung Fehler gemacht, die einer Partei, die auf die Übernahme von Regierungsverantwortung vorbereitet ist, nicht passieren sollten. Und doch braucht unser Land gerade in dieser Zeit eine starke liberale Partei.

Ja, vielleicht sind die Chancen für eine liberale Partei, die einen hohen intellektuellen Anspruch an sich selbst und an ihre Wähler stellt, selten besser gewesen als gerade heute. Dann müsste die FDP allerdings zunächst eine Frage an sich selbst stellen und beantworten. Die Frage lautet: Hat die FDP den Mut, die Partei einer Minderheit zu sein? Nur wenn sie diesen Mut hat, eröffnet sich der FDP die Chance, klare Positionen einzunehmen, statt mit den anderen Parteien um die tagespolitischen Stimmungen zu wetteifern.

Populismus beherrschen Union und SPD ohnehin seit jeher besser. Und die Grünen haben mit der Umweltpolitik ein Thema besetzt, das nach Fukushima gerade ganz besonders im Trend liegt. Trotzdem kann die FDP von den Grünen lernen, denn die Grünen verdanken ihr Ansehen bei den Wählern vor allem dem Umstand, dass sie als konsequent und an der Sache orientiert angesehen werden. Diese Eigenschaften verbindet heute kaum noch jemand mit der FDP. Das war aber einmal ihre Stärke, und das könnte auch wieder ihre Stärke werden.

Zu konsequenter Haltung und Orientierung an der Sache gibt es in der gegenwärtigen Koalition ein besonders breites Betätigungsfeld. Das fängt im Regierungsalltag an: Warum meldet sich die FDP nicht klar vernehmbar zu Wort, wenn zum Beispiel beständig das Parlament übergangen und überfahren wird? Wer soll das außer dem Bundestagspräsidenten denn sonst machen außer einer Partei, die Rechtsstaat und Bürgerrechte für ihren Markenkern hält? Aber als die Wehrpflicht schon abgeschafft war, bevor der Bundestag ein Gesetz dazu überhaupt gesehen, geschweige denn beschlossen hatte, als die Euro-Rettung immer teurer wurde als mit dem Parlament fest vereinbart, als ein Gesetz gegen Kinderpornographie im Internet von der Regierung schlicht ignoriert wurde, als drei Regierungsmitglieder und vier Ministerpräsidenten einfach kurzerhand und offenkundig ohne ausreichende Rechtsgrundlage sieben Atomkraftwerke stilllegten – von der FDP war nichts zu sehen und nichts zu hören. Es reicht nicht, die Freiheit und den Liberalismus beständig verbal zu beschwören. Mit diesen Begriffen verbinden die Menschen nach 60 Jahren in Freiheit und Wohlstand und zwanzig Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur nichts Verheißungsvolles mehr.

Der Kern unseres freiheitlichen Rechtsstaates besteht heute in der Gewaltenteilung, in der Unabhängigkeit der Gerichte und vor allem im Vorrang des parlamentarisch beschlossenen Gesetzes vor dem Regierungshandeln. Mit einer klug vorgetragenen, klaren Position hätte die FDP in diesen Grundsatzfragen die eigene Regierung veranlassen können und müssen, früher das Parlament einzubeziehen in Entscheidungen, die die Regierung für richtig gehalten hatte. Mit dem Parlament wäre Öffentlichkeit und Transparenz im Entscheidungsprozess entstanden – vor allem dank der FDP.

Und last but not least: Wenn alle über Nacht grün werden, dann muss die FDP nicht noch grüner werden als die Grünen. Wer ist denn nicht für einen vernünftigen Umgang mit der Umwelt? Aber es muss doch auch nicht so monströs daher kommen wie bei der Union gleich mit der ganzen Schöpfung (als ob Christdemokraten wüssten, was die "Schöpfung" wirklich ist) oder wie bei der wetterwendischen SPD oder wie bei den Grünen mit ihrer autoritären, staatsgläubigen Einseitigkeit. Selbst in der Umweltpolitik müssen Folgen und Nutzen abgewogen werden. Wenn so viele Länder auf der Welt trotz der Katastrophe in Fukushima weiter auf die Nutzung der Kernenergie setzen – auch in Deutschland täte eine Partei gut, die wenigstens der allgemeinen Hysterie nicht folgt, sondern das Pro und Contra sorgfältiger erwägt. Gleiches gilt für die Biotechnologie und ihren Nutzen für die Ernährung der Menschheit. Warum verbindet die FDP ihren überzeugenden Eintritt für die Menschenrechte nicht auch mit diesem Thema? Und so schließt sich auch der Kreis zur Europapolitik und zur Außenpolitik.

Auch in Europa und in unserem Verhältnis zu Amerika braucht es Konstanz, Verlässlichkeit und Vertrauen. Wer sollte das angesichts der diffusen Haltung der Union und der SPD in diesen Fragen denn machen, wenn nicht die FDP? Und wann wäre dazu ein besserer Zeitpunkt als gerade jetzt? Es täte auch den Nichtwählern der FDP einfach gut zu wissen, dass wenigstens eine Partei in Deutschland Kurs hält und dabei Leidenschaft mit Augenmaß verbindet.

(RP)
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