FDP "in Lebensgefahr"

Mit dem Rücktritt Christian Lindners ist der Höhenflug des jungen FDP-Trios Rösler, Bahr, Lindner zu Ende. Die Partei ist zerrissen und geschockt. Der Vorsitzende Philipp Rösler ist schwer angeschlagen.

berlin Von Christian Lindners Lieblingsschauspieler, dem US-Amerikaner Steve McQueen, ist der Satz überliefert: "Wenn ich an etwas glaube, kämpfe ich dafür wie besessen." Lindner glaubte offenbar nicht mehr an seine FDP. Und er wollte nicht mehr kämpfen.

Überraschend gab der 32-jährige Wermelskirchener gestern sein Amt als Generalsekretär auf — nach nur zwei Jahren. Selbst enge Weggefährten des einst als Hoffnungsträger umjubelten Politologen wussten nichts. Eingeweiht war nur Lindners Frau, die "Zeit"-Journalistin Dagmar Rosenfeld.

FDP-Chef Philipp Rösler, den Lindner noch vor einem Jahr zur Übernahme des Parteivorsitzes ermutigte und der ihn öffentlich mehrfach als Freund bezeichnete, wurde eiskalt erwischt. Um kurz vor 9 Uhr, am Rande der regulären Kabinettsvorbesprechung der FDP-Spitze in Röslers Ministerium, zog Lindner seinen Chef zur Seite und teilte ihm seinen Entschluss mit. Rösler fragte nach, ob er sich sicher sei. "Ja", entgegnete Lindner. Um 9.15 Uhr war Wirtschaftsminister Rösler auf dem Weg ins Kanzleramt.

Es ist das kühle Ende eines vermeintlichen Traumduos. Lindner und Rösler kennen sich seit mehr als zehn Jahren, gemeinsam forderten sie 2009 in einem Buch eine moderne, soziale FDP, einen "Liberalismus mit Herz". Empathie und Sympathie wollten sie in die FDP tragen, die unter dem damaligen Chef Guido Westerwelle so marktschreierisch und inhaltlich verengt daherkam. Zusammen mit dem heutigen NRW-FDP-Vorsitzenden Daniel Bahr (34) fühlten sich Rösler (38) und Lindner als junge Brüder im liberalen Geiste.

Aus. Vorbei. Von einer "schleichenden Entfremdung" zwischen Rösler und Lindner spricht einer, der beide gut kennt. Philipp Rösler warf dem intellektuellen General, der aus dem Stand einen Essay über die Geschichte des politischen Liberalismus aufschreiben kann, vor, die "Abteilung Attacke" zu vernachlässigen. Lindner, so der Vorwurf des Wirtschaftsflügels, schreibe lieber philosophische Texte für linksliberale Medien, als mit harter Angriffs-Rhetorik gegen die Opposition die FDP-Mitglieder bei Laune zu halten. Lindner versuchte, die FDP mit einem neuen Grundsatzprogramm als Partei der Mitte zu positionieren, sich gegenüber Gruppen zu öffnen, die der FDP nicht unbedingt nahestehen. Gewerkschaften, Sozialverbänden, aber auch Bloggern und Internetaktivisten.

Wie das desaströse Erscheinungsbild der Liberalen in der Öffentlichkeit aufgebessert werden könnte, wusste aber auch er nicht. Die Umfragen verharrten bei drei Prozent. Und die Zahl der Feinde wuchs. Es waren FDP-Leute, die sein Krisenmanagement beim Mitgliederbegehren kritisierten oder die Erfolglosigkeit seiner Vorstöße — von der Kürzung des Arbeitslosengeldes über den Reservereaktor bei der Atomwende bis hin zur gescheiterten Parteitagsinitiative zur Abschaffung des Kooperationsverbots — aufzählten.

Vor allem Außenminister Guido Westerwelle, der Lindner hinter seiner Demission im Frühjahr 2010 vermutet, Entwicklungsminister Dirk Niebel, der seinen Nachfolger als Generalsekretär für überschätzt hält, und Fraktionschef Rainer Brüderle, der als Vorkämpfer der liberalen Kernpositionen die sozialen Vorstöße Lindners als überflüssig betrachtet ("Säuselliberalismus"), gehörten zu den Gegnern.

Entscheidend dürfte aber gewesen sein, dass sich Lindner zuletzt von Rösler im Stich gelassen fühlte. Es war der Parteichef, der mit der Interview-Äußerung vom vergangenen Wochenende die Unruhe in der Partei vergrößerte. Rösler hatte drei Tage vor dem offiziellen Einsendeschluss für den Mitgliederentscheid zum Rettungsschirm die Euro-Skeptiker bereits für gescheitert erklärt. Von einem "Fehler" sprachen selbst Rösler wohlgesinnte Spitzenleute wie NRW-FDP-Chef Daniel Bahr. Auch Lindner musste die Äußerungen verteidigen, hatte seinen Parteichef allerdings zu dem Interview geraten.

Nun hat Lindner offenbar keine Lust mehr, den Krisenmanager zu geben. Er machte sich aus dem Staub, sagen diejenigen, die ihn schon immer für zu weich gehalten haben. Er wollte den Abgang selbst gestalten, bevor er möglicherweise aus dem Amt gedrängt werde, heißt es in seinem Umfeld. Eine zeitliche Nähe zu dem Ausgang des Mitgliedervotums — das Ergebnis soll am Freitag bekannt gegeben werden — wollte Lindner vermeiden.

Nun ist es Rösler, auf den die Pfeile zielen. Die ersten Rücktrittsforderungen haben den 38-Jährigen erreicht.

Es gehe jetzt auch um den Parteichef, sagt der Alt-Liberale Gerhart Baum. "Die Partei ist in einer Lebensgefahr wie nie zuvor. Das verlangt radikale Entscheidungen." FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle werde von einigen Landespolitikern ermuntert, Rösler zu beerben, heißt es. Doch Brüderle will nicht. Gestern stützte der 67-jährige Pfälzer Rösler als erster FDP-Spitzenmann öffentlich. Unklar ist noch die Rolle von Daniel Bahr, der als einflussreicher NRW-FDP-Chef einen Aufstand anzetteln könnte. Auch zwischen ihm und Rösler ist das Verhältnis inzwischen angespannt. Aus der liberalen "Boygroup" ist "Philipp allein zu Haus" geworden.

Rösler hofft nun auf den Faktor Zeit — und auf Weihnachten. Sollte der Mitgliederentscheid gegen die Europapolitik der FDP-Spitze aufgrund mangelnder Resonanz tatsächlich scheitern, und danach sieht es aus, wird sich Rösler über die Weihnachtstage halten können.

Mit der raschen Nominierung des neuen Generalsekretärs Patrick Döring, einem in der Partei bestens vernetzten und strategisch denkenden Politiker, hat Rösler Handlungsbereitschaft gezeigt. Der 38-jährige Ökonom ist ein enger Vertrauter Röslers aus Niedersachsen. Die SPD sieht FDP-Chef Philipp Rösler nach einem weiteren Chaos-Tag bei den Liberalen nur noch "auf Abruf". Ob die FDP ihren Vorsitzenden abberuft, ist indes noch nicht ausgemacht.

(RP/das/top)
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