Düsseldorf FDP: Gutachten widerlegt Jäger in Sachen Amri

Düsseldorf · Die Behörden sind anders als vom Innenminister behauptet nicht "bis an die Grenze des Möglichen" gegangen.

Ein neues Gutachten im Auftrag der FDP-Landtagsfraktion widerlegt die Verteidigungsstrategie von NRW-Innenminster Ralf Jäger (SPD) in einem wichtigen Punkt: Der Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri hätte nach Auffassung des Regensburger Strafrechtlers Henning Ernst Müller sehr wohl inhaftiert und damit das Attentat unter Umständen verhindert werden können.

Zwar ist die Rechts- und Fallkonstruktion, über die Müller seine Gutachtenthese nachweist, wohl eher eine theoretische: Müller setzt dafür bei vielen der damals mit Amri befassten Behörden ein idealtypisches Verhalten voraus, das es in dieser Perfektion in der Wirklichkeit wohl kaum gibt. Aber dennoch: Ihm gelingt der Nachweis, dass Amri hätte inhaftiert und wahrscheinlich sogar abgeschoben werden können, wenn alle immer alles richtig gemacht hätten. Jäger hingegen hatte in gleich zwei Sitzungen des NRW-Innenausschusses behauptet: "Wir haben alles getan, was rechtsstaatlich möglich ist." Damit wurde Jäger beim Thema Anis Amri erstmals persönlich widerlegt.

Müller räumt ein, dass die viel diskutierte Abschiebeanordnung (Paragraf 58a Aufenthaltsgesetz) gegen Amri "mit hoher Wahrscheinlichkeit" nicht erfolgreich gewesen wäre. Wohl aber eine Ausweisungsverfügung (Paragraf 53 Aufenthaltsgesetz), die Amri als Gefährder unmittelbar zur Ausreise verpflichtet hätte. Auch hier räumt Müller wieder ein, dass dies "keine unmittelbare Konsequenz" gehabt hätte. Allerdings wäre mit der Ausweisungsverfügung laut Müller eine Grundlage geschaffen worden, die die Erfolgschancen anderer und späterer Maßnahmen wie etwa die Beantragung von Abschiebehaft oder Meldeauflagen deutlich erhöht hätten.

Laut Müller wäre auch eine Untersuchungshaft gegen Amri wegen des dringenden Tatverdachts diverser Straftaten möglich gewesen. Allerdings waren Amris einzelne Delikte jeweils wohl nicht gravierend genug, um eine Untersuchungshaft rechtlich durchsetzen zu können. In der Summe hätten die zur Last gelegten Delikte dafür laut Müller jedoch ausgereicht. Dafür hätten die unterschiedlichen Staatsanwaltschaften aber von den jeweils anderen Verfahren Kenntnis haben müssen. Da Amri aber noch nicht verurteilt war, war sein Führungszeugnis ohne Einträge - weshalb die Staatsanwaltschaften nur auf ungewöhnlichen Umwegen von ihren wechselseitigen Aktivitäten hätten erfahren können. Laut Müller wären Meldeauflagen für Amri jederzeit möglich gewesen. Damit wäre sein Verschwinden schneller aufgeflogen, was ebenfalls die Wahrscheinlichkeit einer Inhaftierung erhöht hätte. Müller: "Amri konnte sich frei bewegen und Straftaten begehen und kam immer wieder auf freien Fuß. Das könnte bei ihm den Eindruck erweckt haben, in Deutschland könne man das so machen."

(tor)
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