Extremismus im Netz Islamistische Propaganda wird subtiler

Berlin · Hinrichtungsvideos sind seltener geworden, heute ködern Islamisten junge Leute immer häufiger mit Lifestylefotos auf Instagram. Das geht aus einem neuen Expertenbericht hervor. Um Minderjährige vor Gefahren im Netz besser schützen zu können, will Familienministerin Giffey noch in diesem Jahr einen Entwurf für ein neues Jugendschutzgesetz vorlegen. Eine Überwachung auch von Kindern lehnt sie ab.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) mit der Broschüre „Salafismus Online“, die vor allem Lehrer aber auch Eltern über Propagandastrategien aufklären soll.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) mit der Broschüre „Salafismus Online“, die vor allem Lehrer aber auch Eltern über Propagandastrategien aufklären soll.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Zwei junge Hände formen ein Herz, davor steht der Spruch: „Deine Ehre und dein Stolz sollte der Islam sein und nicht deine Herkunft“. Abgrenzung, Vereinfachung, Reduzierung auf die Religion, aufbereitet in modernen Bildchen und Videos. So präsentieren sich immer mehr islamistische Gruppen im Netz, am liebsten auf der Bilder-Plattform Instagram oder bei Twitter, Facebook und Youtube. Ein anderes Bild zeigt vier verletzte Kinder aus einem Kriegsgebiet nebeneinander sitzen, eines weint. Darunter liegen auf einem zweiten Foto vier glücklich strahlende Kinder mit heller Hautfarbe und teils blonden Haaren im Gras. So versuchen Islamisten einen Opfermythos zu schaffen, ein klares Feind- und Täterbild zu konstruieren. Enthauptungsvideos, wie sie der sogenannte Islamische Staat lange verbreitete, schrecken zu sehr ab.

Das scheint eine Lehre zu sein, die Islamisten im vergangenen Jahr gezogen haben, heißt es bei dem Kompetenzzentrum jugendschutz.net, das im Auftrag von Bund und Ländern wieder zahlreiche Onlineplattformen auf die Verbreitung extremistischer Inhalte hin untersucht hat. Aus dem Bericht geht hervor, dass insgesamt 19.200 Angebote mit islamistischen Inhalten gesichtet wurden. In 649 Beiträgen in sozialen Medien wurden insgesamt 872 Verstöße gegen jugendschutzrechtliche Bestimmungen festgestellt und untersucht. Gut die Hälfte davon betraf Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, in einem Fünftel der Fälle ging es um Kriegsverherrlichung, zum Beispiel in Form der Glorifizierung des Dschihads. Im Vergleich zu 2017 ging aber die Zahl der Gewaltdarstellungen von 195 registrierten Verstößen auf 48 im Jahr 2018 zurück. Der Leiter von Jugendschutz.net, Stefan Glaser, nannte drei Gründe für diese Entwicklung: Erstens habe die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) - vielleicht auch als Konsequenz aus ihren militärischen Misserfolgen - 2018 weniger Material neu publiziert. Zweitens hätten Social-Media-Dienste zuletzt „etwas konsequenter“ brutale Bilder gelöscht. Drittens setzten radikale Gruppierungen inzwischen stärker auf „subtile“ Methoden, um Jugendliche in ihren Bann zu ziehen.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), die den Bericht am Dienstag in Berlin mit vorstellte, kündigte an, noch in diesem Jahr eine Reform des Jugendschutzgesetzes auf den Weg zu bringen. Angesichts der Herausforderungen und Risiken durch neue Online-Kommunikationskanäle müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen dringend geändert werden, sagte Giffey. Dazu zählten sichere Voreinstellungen in Online-Chats, leicht zugängliche Melde- und Hilfesysteme oder klare Alterskennzeichnungen.

Aktion des islamistischen Kanals „Generation Islam“ bei Instagram im April 2018.

Aktion des islamistischen Kanals „Generation Islam“ bei Instagram im April 2018.

Foto: RP/Screenshot

Der Bericht von jugendschutz.net zeigt, dass öffentliche Debatten etwa um das Tragen des Kopftuchs oder den Rückzug von Mesut Özil aus der Fußball-Nationalmannschaft von Islamisten genutzt werden. Unter dem Hashtag Nichtohnemeinkopftuch wurde im April 2018 zu einem „Twittersturm“ aufgerufen, zeitweilig landete der Hashtag auf dem dritten Platz in den deutschen Twitter-Trends.

Giffey sagte, Lehrer und Sozialarbeiter sollten die Symbolik des radikalen Islamismus kennen, um Probleme frühzeitig zu erkennen. Dazu verwies sie auf die Broschüre „Salafismus Online“, die von der EU-Initiative Klicksafe speziell für Lehrer aber auch Eltern entwickelt wurde.

Doch es sind nicht nur die Islamisten, die in sozialen Netzwerken Kinder und Jugendliche anzulocken versuchen. Auch Rechtsextreme sind werbend unterwegs. Sie nutzen gerne einschlägige Spiele wie „Fortnite“ und „World of Warcraft“, in denen es um Leben und Tod, ums Kämpfen, Jagen und um den gezielten Einsatz von Waffen geht. Diese Spiele haben auf viele Jungen und auf junge Männer eine Sogwirkung. Sie vernetzen sich Online mit Freunden oft aber auch anonym um mit- und gegeneinander zu spielen. In diesen Foren tummeln sich auch Rechtradikale, die während der Kampfspiele entsprechende Parolen ausgeben. Reagieren die Jugendlichen positiv darauf, geht es in privaten Chats weiter, auf die Sicherheitsbehörden nicht zugreifen dürfen.

Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize und Experte für Sicherheits- und Netzpolitik, sieht einen gefährlichen Trend. „Gerade die Vernetzung von Extremisten und die Verbreitung menschenverachtender Inhalte über Spieleplattformen ist ein ernstzunehmendes Problem, das bislang, so zumindest unser Eindruck, noch nicht ausreichend im öffentlichen Fokus und im Blick der Sicherheitsbehörden ist“, sagte er unserer Redaktion. „Zudem beobachten wir beispielsweise bei der Vernetzung von Rechtsextremen immer wieder, dass Kommunikationen sehr bewusst auf Plattformen außerhalb Europas ausgelagert wird. Hier bedarf es einer noch stärkeren internationalen Zusammenarbeit“, so der Grünen-Politiker.

Das Spiel „Fortnite“ als Smartphone-Anwendung.

Das Spiel „Fortnite“ als Smartphone-Anwendung.

Foto: RP/Christoph Schroeter

Die Bundesregierung will das Entstehen terroristischer Strukturen über soziale Netzwerke und Foren künftig mit mehr Befugnissen für die Sicherheitsdienste bekämpfen. Dies sieht auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD vor. Nach einem entsprechenden Gesetzentwurf von Innenminister Horst Seehofer (CSU) soll den Diensten die Möglichkeit gegeben werden im gleichen Rahmen, in dem Telefone abgehört werden dürfen auch die Kommunikation über Messenger-Dienste und Chats zu verfolgen. Der Innenminister will zudem auch Minderjährige unter 14 Jahren beobachten lassen können, sofern sie oder ihr Umfeld als Gefährder einzustufen sind.

Giffey lehnt das ab. „Ich bin nicht der Meinung, dass Kinder per se zu Tätern stigmatisiert werden sollten“, sagte sie. Kinder und Jugendliche, die sich zum Beispiel in einem islamistischen Umfeld bewegten, seien zunächst selbst in Gefahr. Es müsse das oberste Ziel des Staates sein, die Minderjährigen aus dieser Situation herauszuholen. Dazu verwies Giffey auch auf Präventionsarbeit.

Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster will auf neue Technologien setzen. „Sicherheit der Zukunft heißt auch, dass wir bei kriminellen Massenphänomenen wie Hass, Extremismus und Terrorismus im Netz verstärkt auf Instrumente der Künstlichen Intelligenz setzen sollten“, sagte Schuster. Er forderte die Schaffung einer Warnfunktion und Anzeigepflicht krimineller Inhalte für Plattformbetreiber. Man müsse präventive polizeiliche Fahndung im Netz erlauben, es gehe bei Verdachtsfällen um Zugriff auf Messenger-Dienste, PCs und Endgeräte für Polizei und Bundesverfassungsschutz, sagte Schuster.

(jd/qua/dpa)
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