Nationaler Digitalrat Sie sollen Merkel das „Neuland“ erklären

Berlin · Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Ein Rat aus Experten im Kanzleramt soll der Regierung Dampf machen.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (1. Reihe 5.v.l.) steht mit den Mitgliedern des Digitalrates im Bundeskanzleramt zusammen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (1. Reihe 5.v.l.) steht mit den Mitgliedern des Digitalrates im Bundeskanzleramt zusammen.

Foto: dpa/Kugler, Steffen

Während in anderen Ländern die Versorgung mit schnellem Internet und Wlan selbstverständlich ist, autonome U-Bahnen fahren oder Bürger ihre Behördengänge längst virtuell tätigen, ist in der Bundesrepublik davon nur in Positionspapieren die Rede. Das soll sich ändern, möglichst schnell. Dafür hat Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt den Digitalrat gegründet: Dieses zehnköpfige Beratergremium soll die Bundesregierung antreiben und ihr das „Neuland“ verständlicher machen.

Sie erhoffe sich von der Arbeit des Rates viele neue Ideen, „die wir als Regierung in die Tat umsetzen können“, so die Kanzlerin. Aber wer sind die zehn Experten eigentlich, die künftig in der Schaltzentrale der Macht, dem Kanzleramt, regelmäßig den Regierenden einflüstern dürfen? Und welche konkreten Dinge kann das Gremium umsetzen, das doch keine Gesetzgebungskompetenz hat?

Geleitet wird der Digitalrat von Katrin Suder, die einst als Unternehmensberaterin bei McKinsey Karriere machte und in der vergangenen Legislaturperiode als Staatssekretärin bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das verkorkste Beschaffungswesen der Bundeswehr aufräumen sollte. Die promovierte Physikerin übt ihren Job beim Digitalrat ehrenamtlich aus. Ihre Rolle dort versteht sie gewissermaßen als Moderatorin, als diejenige, bei der die Fäden des sehr international aufgestellten Gremiums zusammenlaufen.

Die Besetzung des Gremiums mit vier Frauen und sechs Männern wurde maßgeblich vom Kanzleramt bestimmt. Auffällig ist, dass es sich nicht nur um deutsche Experten handelt, auch wenn die Sprache für die Sitzungen, die lediglich zweimal im Jahr stattfinden sollen, Deutsch ist. Da gibt es beispielsweise die US-Amerikanerin Beth Simone Noveck, die als Professorin an der Universität von New York das „Governance Lab“ leitet, eine Art Denkfabrik für modernes Regieren. Sie war bei Ex-Präsident Barack Obama dafür zuständig, die US-Regierung zugänglicher und transparenter für die Bürger zu machen.

Ijad Madisch hat es geschafft, mit Research Gate ein Facebook für Wissenschaftler aufzubauen, obwohl er nicht aus dem Silicon Valley kommt. Der 38-Jährige, der bei der Auftaktsitzung durch seine unkonventionelle Kleiderwahl mit Basecap, T-Shirt und kurzer Hose auffiel, ist in der Digitalbranche bestens verdrahtet. Mit dabei sind auch ein Experte für neuronale Netze, einer für Künstliche Intelligenz, die Geschäftsführerin einer Firma für Gesundheitstechnologie, ein Spezialist für die sozialen Folgen der Digitalisierung und Ada Pellert. Die aus Österreich stammende Rektorin der Fernuni Hagen sieht sich als die Bildungsexpertin in der Runde.

„Die zentrale Frage ist für mich, wie können wir die Chancen, die sich durch Digitalisierung bieten, nützen und die Risiken minimieren“, sagte Pellert unserer Redaktion. „Digitalisierung solle kein Phänomen sein, das uns einfach überrollt, sondern das wir gestalten, und dafür müssen wir kompetent sein.“ Bildung sei ein Schlüssel dafür, sagte die Rektorin.

Und tatsächlich ist die Förderung digitaler Lehrinhalte in Schulen einer von vier Themenbereichen, auf die sich die Experten konzentrieren sollen – ausdrücklich mit dem Hinweis verbunden, nicht nur in den Grenzen des Koalitionsvertrags denken zu dürfen. Neben Bildung nehmen sie bis zum Ende der Wahlperiode auch den Ausbau der Infrastruktur bei Breitbandversorgung und Mobilfunk in den Blick, einen verbesserten digitalen Zugang zu Behörden und eine allgemeine Strategie für künstliche Intelligenz (KI).

Doch die Frage nach dem konkreten Einfluss des Gremiums ist nach wie vor nicht abschließend beantwortet. Suder spricht von einem starken Mandat. Gemeint ist ein Beratungsangebot, das sich an alle mit der Digitalisierung befassten Ministerien richtet. So nehmen an den Sitzungen auch Vertreter der Ressorts für Finanzen, Innen, Wirtschaft, Justiz, Arbeit und Soziales, Verkehr und Infrastruktur sowie Bildung und Forschung teil. Ausgerechnet SPD-Chefin Andrea Nahles, die nicht Teil der Regierung ist, griff aber beispielsweise schon eine Idee von Viktor Mayer-Schönberger auf. Der Oxford-Professor und Fachmann für Regulierungsfragen ist Mitglied im Digitalrat und schlug vor, Internetriesen wie Amazon und Google zu zwingen, ihre Daten mit Konkurrenten zu teilen.

Nahles will die SPD entsprechend positionieren. Fernuni-Rektorin Ada Pellert gibt sich zunächst zurückhaltend: Die Bundesregierung habe um Beratung gebeten. „Wir freuen uns darüber, unsere Expertise zur Verfügung stellen zu können und hoffen natürlich darauf, auch Gehör zu finden“, sagte Pellert.

Dabei muss sich der Digitalrat die Aufmerksamkeit mit diversen anderen Amtsträgern und Expertengrüppchen teilen. Es gibt beispielsweise noch den Kabinettsausschuss Digitales, die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), daneben Helge Braun (CDU) als Kanzleramtschef und Bundesminister für besondere Aufgaben, der sich insbesondere der KI-Strategie der Bundesregierung verpflichtet fühlt, eine Enquete-Kommission zur KI und die Datenethik-Kommission.

Hinzu kommen mehrere Beiräte für Digitalisierung in den Ministerien selbst. Dieses Neben- und Durcheinander bemängeln Experten, fürchten fehlende Koordinierung und damit eine Blockade wichtiger Vorhaben. Auch die Zusammensetzung selbst sorgte für Kritik. Es gebe zu viele Wirtschaftsvertreter und zu wenige Experten, die etwas zu den sozialen Folgen der Digitalisierung sagen könnten. Die Truppe von Angela Merkel wird sich also noch beweisen müssen. Um gleich mit Tatendrang weiterzumachen, wollen sie sich das nächste Mal im November treffen – direkt vor einer Klausur des Digitalkabinetts.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort