Aleppo Exodus aus den Trümmern Aleppos

Aleppo · Fast 1000 Menschen haben im ersten Konvoi das zerstörte Aleppo verlassen. Tausende, darunter viele Kinder, harren noch aus. Das Regime brüstet sich mit seinem Sieg.

Schon in den Morgenstunden geht der Nervenkrieg um den Abzug von Kämpfern und Zivilisten aus den verbliebenen Rebellengebieten Aleppos in eine neue Runde. Kurz nach Sonnenaufgang versammeln sich die ersten Zivilisten auf den Straßen der größtenteils zerstörten Viertel im Osten der umkämpften Stadt: Frauen, Kinder und Männer, die seit Langem hoffen, das Kampfgebiet verlassen zu können. Die Menschen frieren in der Kälte, derzeit liegen die Temperaturen nur knapp über null Grad.

Um acht Uhr solle es losgehen, schreibt ein Aktivist in einer Textnachricht. Hoffnung spricht aus den Worten. Ein Rebellensprecher bestätigt die Uhrzeit. Doch um acht Uhr passiert erst einmal nichts. Das Warten auf die Rettung geht weiter.

Auf einem Foto ist eine Frau zu sehen, die neben gepackten Koffern auf Trümmern sitzt und weint. Vielen fällt der Abzug aus ihrer Heimatstadt trotz aller Leiden schwer. Andere haben ganz besondere Vorbereitungen getroffen: Damit den Regierungsanhängern möglichst wenig in die Hände fällt, verbrennen manche ihr Hab und Gut, ein Motorrad etwa, wie ein Video zeigt. Auch die Kämpfer zerstören ihre Fahrzeuge, setzen ihre Hauptquartiere in Brand, sprengen größere Waffenlager, wie auch die oppositionelle Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet. Fernsehbilder zeigen Rauchschwaden über der Trümmerlandschaft.

Seit Tagen haben die Konfliktparteien um den Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus den wenigen Vierteln gerungen, die den oppositionellen Milizen nach heftigen Kämpfen mit Regimekräften noch geblieben sind. Am Dienstag gab es eine erste Einigung. Doch das Abkommen scheiterte zunächst, weil neue Kämpfe ausbrachen.

Dabei lässt die katastrophale humanitäre Lage keinen Aufschub zu. Zehntausende sollen in Ost-Aleppo noch leben, viele von ihnen untergekommen in zerbombten Häusern des von Luftangriffen, Artillerie und Kämpfen stark zerstörten Rebellengebiets. Nach Angaben der Organisation "Save the Children" harren noch Tausende Kinder im zerstörten Ostteil aus.

Die Menschen sagen, es gebe wegen der monatelangen Belagerung kaum noch Trinkwasser, sie hätten Hunger. Die medizinische Versorgung ist zusammengebrochen. Der Regionaldirektor des Roten Kreuzes, Robert Mardini, zitiert auf Twitter eine Kollegin in Ost-Aleppo: "Ich habe noch nie zuvor dieses Ausmaß menschlichen Leids gesehen."

Genau um zwölf Uhr mittags wächst dann die Hoffnung der eingeschlossenen Menschen. Krankenwagen und die grünen Busse des staatlichen syrischen Transportunternehmens setzen sich Richtung Osten in Bewegung. Mehr als zwei Stunden dauert es, bis die ersten Fahrzeuge das Rebellengebiet wieder verlassen, an Bord erleichterte Menschen, die in andere von der Opposition gehaltene Orte gefahren werden. Die Provinz Idlib südwestlich von Aleppo steht unter Kontrolle der Opposition. Hierhin sind bereits früher Aufständische abgezogen, als sie etwa Vororte von Damaskus aufgaben. 951 Menschen sollen mit dem ersten Konvoi Aleppo verlassen haben; am Abend folgte ein zweiter Transport. Insgesamt sollen den syrischen Angaben zufolge etwa 15.000 Menschen abtransportiert werden. Hilfsorganisationen sprechen dagegen von rund 70.000 Menschen.

Mehrfach pendeln gestern die 20 grünen Busse und bringen Menschen aus dem Kampfgebiet. Nicht alle werden es sofort schaffen, viele bleiben zurück. Aktivisten beschreiben den Abschied von ihren Familien als herzzerreißend. "Die Menschen wollen die Stadt so sehr verlassen und sich und ihre Familien in Sicherheit bringen", sagt ein Aktivist mit Namen Wissem. "Auf der anderen Seite lassen sie auch ihr Land, ihre Heimat zurück. Für uns ist das ein sehr trauriger Tag."

Wenn alle Kämpfer und Zivilisten Ost-Aleppo verlassen haben, bleiben Geisterviertel zurück. Einige Bewohner haben vor der Abfahrt noch Botschaften an die Wände geschrieben. "Unsere zerstörten Häuser sind Zeugen unserer Standhaftigkeit gegen eure Verbrechen", heißt es. Und: "Wir werden eines Tages zurückkehren."

Das Regime in Damaskus brüstet sich mit seinem Erfolg. Machthaber Baschar al Assad äußert sich in einer Video-Botschaft erstmals wieder selbst zur Entwicklung. Er gratuliert dem syrischen Volk zur "Befreiung" der Stadt; in Aleppo werde "Geschichte geschrieben". Aleppo ist Assads größter Sieg seit dem Beginn des Bürgerkriegs 2011.

(dpa)
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