Analyse Nach fünf Jahren Hartz für jeden EU-Bürger

Berlin · Das EuGH-Urteil bestätigt die Rechtspraxis der deutschen Jobcenter. Danach müssen sie EU-Ausländern, die nicht hier arbeiten, in den ersten Jahren keine Sozialleistung auszahlen. Sozialverbände sind empört, die Bundesregierung ist erfreut.

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Foto: dpa, Jakob Huber

Mit Spannung hatten Städte und Jobcenter das Urteil im Fall Dano erwartet. Nach dem Spruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) reagierten sie erleichtert. "Freizügigkeit ist ein hohes Gut, aber dies bedeutet nicht, mittellos durch Europa zu ziehen und Sozialleistungen zu erhalten", sagte Volker Kauder, Chef der Unions-Bundestagsfraktion. Die Bundesagentur für Arbeit sah sich in ihrer Rechtsauffassung bestätigt. Sozialverbände wie die Diakonie bedauerten dagegen das Urteil.

Worum ging es in dem Fall Dano?

Geklagt hatte die 25-jährige Rumänin Elisabeta Dano, die mit ihrem fünfjährigen Sohn bei ihrer Schwester in Leipzig lebt. Dano war 2010 eingereist, hatte aber nie ernsthaft nach Arbeit gesucht. Daher lehnte das Jobcenter ihren Antrag auf Hartz IV ab. Dano klagte. Das Sozialgericht Leipzig legte den Fall dem EuGH vor. "Nicht erwerbstätige Unionsbürger, die sich allein mit dem Ziel, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen, in einen anderen Mitgliedstaat begeben, können von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden", heißt es im Urteil (Az. C-333/13). Zugleich mahnten die Richter die Jobcenter, jeden Einzelfall zu prüfen.

Wann erhalten EU-Bürger Hartz IV?

Mit dem Urteil bleibt es bei der deutschen Rechtslage. EU-Ausländer erhalten in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland grundsätzlich kein Hartz IV. Danach können sie in den Genuss der Hilfeleistung kommen: Entweder weil sie arbeiten, aber nicht genug verdienen, so dass sie aufstockend Hartz IV beziehen. Oder weil sie immer wieder befristet (mindestens sechs Monate) arbeiten, aber nicht lange genug, um Anspruch auf die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I zu erwerben. Nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland gibt es keine Einschränkung mehr: Dann wird Hartz IV jedem EU-Bürger wie Deutschen gezahlt, der keine Arbeit hat. Derzeit liegt der Satz für einen Single bei 391 Euro pro Monat. Zudem übernimmt der Staat die Krankenversicherung und die Kosten einer (angemessenen) Unterkunft. Für jedes Kind gibt es außerdem (je nach Alter) 229 bis 296 Euro.

Gibt es Kindergeld?

Unabhängig von der Frage der Arbeitswilligkeit zahlen die deutschen Behörden Kindergeld. Der Rumänin Dano stehen für ihren Sohn auch nach dem Urteil noch 184 Euro im Monat zu. Manche Familie, vor allem wenn sie bei Verwandten unterkommt, lebt von dem Kindergeld, so die Erfahrung der Sozialbehörden. Auch das dürfte die Konzentration fördern: Die meisten Bulgaren und Rumänen in NRW leben in Duisburg, Köln und Dortmund.

Kann man EU-Bürger ausweisen, wenn sie keine Arbeit suchen?

Ja. Das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit ist an Bedingungen geknüpft. "Wenn ich in Deutschland arbeite oder nach Arbeit suche, kann ich mich als EU-Bürger ungehindert hier aufhalten", sagt Herbert Brücker, Experte am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. "Wenn ich dies über längere Zeit jedoch nicht tue, verliere ich meinen Aufenthaltsstatus und kann theoretisch ausgewiesen werden. Das obliegt dann der jeweiligen Kommune, dies durchzusetzen", sagt Brücker. Leipzig hat bisher darauf verzichtet.

Wie viele Rumänen und Bulgaren beziehen Hartz IV?

Rumänen und Bulgaren genießen seit Januar 2014 die volle Freizügigkeit. Rund 145 000 Rumänen und 57 000 Bulgaren sind derzeit hier sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Unter den Hartz-IV-Empfängern gibt es aber deutlich mehr Bulgaren (37 000) als Rumänen (30 000). Die Arbeitslosenquote der Bulgaren liegt mit gut 15 Prozent doppelt so hoch wie die der Rumänen. Eine Erklärung dafür haben Experten nicht. "Rumänen gehören zu den am besten in den deutschen Arbeitsmarkt integrierten Beschäftigten. Nur die Ungarn haben unter den EU-Bürgern in Deutschland eine noch niedrigere Arbeitslosenquote als die Rumänen", sagt Forscher Brücker. "Seit Dezember ist die Beschäftigungsquote unter Rumänen und Bulgaren um über zehn Prozentpunkte gestiegen. So etwas gab es noch nie bei Zuwanderern."

Wie qualifiziert sind Zuwanderer?

Unter den Zuwanderern aus diesen Ländern gibt es eine deutliche soziale Spaltung: Einerseits ist die deutliche Mehrheit von ihnen hoch qualifiziert, findet problemlos Arbeit in Deutschland. Andererseits hat sich aber auch die Zahl der Hartz-IV-Bezieher aus Bulgarien und Rumänien zwischen Mitte 2013 und Mitte 2014 verdoppelt. Vor allem Städte, in denen bereits viele Bulgaren und Rumänen leben, berichten über wachsende soziale Probleme, etwa Duisburg, Dortmund oder Berlin. "Wir gehen davon aus, dass viele Bulgaren und Rumänen, die neu in den Hartz-IV-Bezug gekommen sind, schon vorher hier waren", sagt Brücker. Die Menschen wüssten nur immer besser, wie sie Hartz IV beantragen können.

(mar)
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