Europäische Pflichtübung in Wien

Zum Amtsantritt der neuen österreichischen Regierung gab es erst einmal die Pflichtübung: Das Kabinett von Bundeskanzler Sebastian Kurz bekannte sich zu einem "pro-europäischen Kurs". Das klingt gut, nur wird darunter heutzutage in der EU durchaus Unterschiedliches verstanden. Dass der neue Bundeskanzler in Wien so manches ganz anders sieht als die Bundeskanzlerin in Berlin, ist ja spätestens seit der Flüchtlingskrise kein Geheimnis mehr. Es wäre also keine Überraschung, wenn sich Österreich künftig stärker nach Osten orientieren würde, wo Länder wie Ungarn, Polen oder Tschechien laut murren über die angebliche Bevormundung durch Brüssel, Berlin und Paris.

Wenn es so kommt, könnte das auch zu einer Zerreißprobe für eine mögliche neue große Koalition in Berlin werden - mit einer SPD, die die unter Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ formierte Regierung in Wien als Inkarnation des Bösen sieht, während die CSU über neue Verbündete jubelt. Möglicherweise täuschen sich beide. Unsere Nachbarn wollten bei der Wahl vor allem mit ihrem verkrusteten politischen System brechen - und nicht mit Europa. Messen wir die neue österreichische Koalition also an ihren Taten, nicht an unseren Erwartungen.

(RP)
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