Berlin Europa entzweit CDU und CSU
Berlin · Herbert Reul, Spitzenkandidat der NRW-CDU bei der Europawahl, attackiert das Wahlprogramm der Schwesterpartei. Auch der Koalitionspartner SPD geht auf Distanz zu einer Seehofer-CSU, die Stimmung gegen Europa macht.
Im Europawahlkampf befinden sich CDU und CSU ab sofort auf Kollisionskurs. Nicht mit der SPD, den Grünen oder der "Alternative für Deutschland", sondern miteinander. Die zugespitzten Formulierungen im "Europaplan", den der CSU-Vorstand am Wochenende beraten und die Partei am 10. Mai beschließen will, rufen die CDU-Wahlkämpfer auf den Plan. "Das ist Populismus pur", kritisiert Herbert Reul, Spitzenkandidat der NRW-CDU, im Gespräch mit unserer Zeitung.
Das Präsidiumsmitglied der Bundes-CDU ist auch Chef der deutschen Unionsabgeordneten im Europaparlament und sorgt sich damit schon qua Amt um den Zusammenhalt der Union. Fairerweise müsse anerkannt werden, dass die CSU auch "viele positive Sachen zu Europa" sage, meint Reul. Doch es gebe "Vereinfachungen", die erkennbar mit dem Ziel vorgenommen würden, eine Anti-Europa-Stimmung für die CSU nützlich zu machen. Solche Formulierungen seien überflüssig, kritisiert Reul.
Als Beispiel nennt der CDU-Wahlkämpfer die Forderung der CSU nach einer Halbierung der EU-Kommission: "Das kommt natürlich gut an, aber jeder weiß doch: Das wird es nicht geben." Der Ansatz sei richtig, die Arbeit in Brüssel effektiver machen zu wollen, aber eine Halbierung der Kommission sei "Quatsch", meint Reul. Die richtige Antwort wäre aus seiner Sicht, die Strukturen in Brüssel zu reformieren und die Aufgaben der Kommissare zu verändern.
Reul fügt hinzu: "Meine Sorge bei solchen Sprüchen ist, dass es das Gefühl derjenigen bedient, die AfD-Wähler sein könnten." Erfahrene Wahlkämpfer wüssten jedoch, dass man nur anderen Parteien helfe, wenn man Themen bediene, bei denen diese die höhere Originalität hätten. "Das finde ich nicht intelligent", erklärt Reul.
Dass CSU-Chef Horst Seehofer die Sorge um eine Abwanderung der Wähler in Richtung AfD umtreibt, ist bereits seit seinen Veränderungen an der Parteispitze klar. Er machte ausgerechnet Peter Gauweiler zum stellvertretenden CSU-Vorsitzenden und ließ ihn beim Politischen Aschermittwoch in Passau als Hauptredner krachledern gegen Europa keilen. Gauweiler war gegen die Euro-Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sogar vors Verfassungsgericht gezogen und hatte im Bundestag wiederholt gegen ihren Kurs gestimmt.
Nun baut im Auftrag Seehofers auch sein Generalsekretär Andreas Scheuer klare Fronten zwischen Bayern und Brüssel auf. Seine Formel für den Wahlkampf: "Unser Ja zu Europa hat ein dickes Aber." Tatsächlich gehen im 15-Seiten-Programm nach einem Bekenntnis zu den Errungenschaften der Europäischen Union als "größtes Friedenswerk" die CSU-Signale reihenweise auf Rot. "Alles, was die Menschen vor Ort angeht - vom Nahverkehr bis zum Trinkwasser -, soll vor europäischen Eingriffen geschützt werden", heißt es im "Europaplan".
Als wäre die Europäische Union so etwas wie der Hort allen Übels, fordern die Christsozialen einen "Zuständigkeitsstopp für die EU", beschwören das Ende der "Brüsseler Regulierungswut" und setzen sich mit der "erstickenden Flut von Bürokratie aus Brüssel" auseinander. Ein wenig weichgespült ist das Migrationspapier vom Jahresanfang, als die Partei ankündigte: "Wer betrügt, der fliegt." In der Sache bleiben sie aber dabei: "Wer ungerechtfertigt Sozialleistungen abruft, soll Deutschland verlassen und darf nicht wieder einreisen", heißt es nun.
Schon in den Bundestagswahlkampf waren CDU und CSU mit gegensätzlichen Konzepten gestartet. Die Merkel-CDU versuchte es mit thematischer Umarmung und dem Gefühl, dass Deutschland schon bei ihr in sicheren Händen sei. So ist auch der jetzige CDU-Wahlkampf angelegt. Dagegen ritt die CSU konsequent Attacke. Im September vergangenen Jahres ließ sich das unterschiedliche Vorgehen noch damit erklären, dass es der CSU zuallererst um die bayerischen Landtagswahlen ging, die eine Woche vor der Bundestagswahl lagen. Jetzt wird aber am selben Tag gewählt.
Kritik an den europakritischen Passagen im CSU-Programm für die Europawahl kommt auch von der SPD-Spitze. "Klar ist nur, dass dies niemals gemeinsame Position einer Regierung sein kann, an der die SPD beteiligt ist", sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner unserer Zeitung. Anpassung an die Inhalte sei "kein geeignetes Rezept gegen rechte Konkurrenz".