Euro: Merkel setzt sich durch und isoliert Großbritannien

Brüssel Der Durchbruch auf dem EU-Gipfel in Brüssel verändert Europa: Unter dem wachsenden Druck der Schuldenkrise verstärken die meisten EU-Staaten ihre Zusammenarbeit. Sie stabilisieren den Euro durch eine gemeinsame Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik und geben weitgehende Hoheitsrechte ab. Damit setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim entscheidenden Euro-Rettungsgipfel in Brüssel ihre Pläne für den Einstieg in eine politische Union weitgehend durch.

Für den Integrationsschub nimmt sie jedoch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten in Kauf: Denn Großbritannien ist bei Kern-Europa nicht mit im Boot. "Was geboten wird, ist nicht im Interesse Großbritanniens, deshalb habe ich nicht zugestimmt", erklärte Premierminister David Cameron am frühen Freitagmorgen.

In elfstündigen Verhandlungen hatten Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zuvor versucht, den britischen Premier für eine Lösung aller 27 Staaten zu gewinnen. Cameron wollte sich das Ja zu einer Vertragsänderung mit Sonderrechten für den für die britische Wirtschaft enorm wichtigen Finanzsektor abkaufen lassen. Doch das "Merkozy" genannte deutsch-französische Duo ließ ihn abblitzen. Dennoch zeigte sich Merkel überzeugt, dass die Beschlüsse zur Beruhigung der Finanzmärkte beitragen: "Wir gewinnen Glaubwürdigkeit zurück, Schritt für Schritt, und schaffen eine neue Basis des Vertrauens."

Beim neuen Pakt sind die 17 Euro-Länder an Bord. Hinzu kommen bis zu neun weitere Nicht-Euro-Länder. Diese wollen aber erst ihre Parlamente fragen. Für die Gründung der Fiskalunion wird wegen Londons Veto nun ein Vertrag zwischen den Regierungen der Teilnehmer-Länder geschlossen, der bis März ausgehandelt sein soll. Kernpunkte: Alle Euro-Staaten führen eine Schuldenbremse ein, die das strukturelle Defizit auf 0,5 Prozent der Wirtschaftskraft begrenzt. Die Schuldenbremse soll Verfassungsrang erhalten. Über die Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof. Schuldensünder sollen automatisch bestraft werden, wenn das Defizit die im Euro-Stabilitätspakt erlaubten drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der Summe aller in einem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen, überschreitet.

Die Finanzmärkte reagierten nervös bis abwartend auf die Gipfelresultate. Der deutsche Aktienindex Dax tendierte um seinen Stand vom Vortag. Auch der Euro lag zum US-Dollar kaum verändert bei etwa 1,3337 Euro. Viele hatten gehofft, dass die akute Krisenabwehr der Euro-Zone bei dem Treffen massiv gestärkt wird. Die EU-Länder wollen allerdings prüfen, ob sie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ihre Notenbanken zusätzliche Mittel von bis zu 200 Milliarden Euro bereitstellen. Mit dem Geld könnte der IWF Programme für Krisenländer finanzieren. Der dauerhafte Krisenmechanismus zur Rettung gefährdeter Eurostaaten (ESM) wird zudem um ein Jahr auf Juli 2012 vorgezogen. Im März 2012 wird überprüft, ob die Ausstattung des ESM von 500 Milliarden Euro ausreicht.

Während Koalitionspolitiker die Beschlüsse begrüßten, kam von der Opposition massive Kritik. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, sieht Europa nach dem EU-Gipfel auf einem guten Weg. "Europa wird nicht kleiner, sondern stabiler", sagte Brüderle unserer Zeitung.

Der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, kritisierte die Beschlüsse dagegen scharf: "Dieser EU-Gipfel war ein reiner Schuldenbremsengipfel. Er hat erneut keine Antwort auf die Eurokrise gegeben", sagte Trittin unserer Zeitung. "Das Ergebnis dieses Gipfels heißt: Die Krise wird verlängert, ihre Beendigung wird vertagt. Der Gipfel bestätigt, dass die Bundeskanzlerin kein Gespür dafür hat, wie der Rest der Eurozone und der EU zur Krise steht", so Trittin. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) erklärte, die Verursacher der Krise würden "abermals nicht in Verantwortung genommen. Das Casino ist noch nicht geschlossen."

Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Deutschen Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), bringt einen Austritt Großbritanniens aus der EU ins Gespräch. "Großbritannien braucht die Europäische Union mehr als die Europäische Union Großbritannien", sagte Krichbaum unserer Zeitung. Der Vertrag von Lissabon lasse "ausdrücklich alle Möglichkeiten offen, auch den Austritt eines Landes". Die Briten müssten sich entscheiden, ob sie für oder gegen Europa seien, sagte Krichbaum.

Eine andere historische Entscheidung ging fast unter: Kroatien soll Mitte 2013 der 28. Mitgliedstaat der europäischen Union werden. Einen entsprechenden Beitrittsvertrag unterzeichneten die 27 EU-Mitgliedsstaaten.

(RP)
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