Verkehr EU-Signal für strengen Schutz vor Luftverschmutzung

Berlin · Im Streit um Grenzwerte deutet ein Gutachten auf eine Stärkung der Rechte der Bürger hin. Die umstrittene Umwelthilfe sieht sich bestätigt.

 Autos fahren an der Luftmessstation vorbei

Autos fahren an der Luftmessstation vorbei

Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Die deutsche Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) stimmt in einem mit Spannung erwarteten Gutachten zu Messungen von Luftschadstoffen auf strenge Vorgaben und starke Rechte von Bürgern im Streit um Dieselfahrverbote ein. Das Urteil des Gerichtshofs wird zwar erst in einigen Wochen fallen – die von Juliane Kokott am Donnerstag in Luxemburg vorgelegte Expertise zu einem Fall aus Belgien kann aber als Signal für Deutschland gewertet werden. So können Anwohner Kokott zufolge von Gerichten überprüfen lassen, ob Messstationen richtig platziert sind. Ferner soll schon die Überschreitung von Grenzwerten an einzelnen Punkten als Verstoß gegen EU-Vorgaben gewertet werden und nicht nur der Mittelwert an mehreren Messstellen. Beide Aspekte bestimmen die aufgeladene Debatte in Deutschland.

Vor allem die CSU argumentiert, Deutschland setze die Messungen unnötig penibel um. Und die Bundesregierung will im Immissionsschutzgesetz klarstellen, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Fahrverbote in Städten erst bei einem Jahresmittelwert von mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft des gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxids NO2 in Betracht kommen sollen. Nach EU-Vorgaben gelten 40 Mikrogramm.

Die Deutsche Umwelthilfe, die zahlreiche Klagen auf Fahrverbote eingereicht und zum Teil schon gewonnen hat, sieht sich durch das Gutachten bestärkt. Kokott habe die Richtigkeit der Luftqualitätsmessungen an den für Menschen am stärksten mit dem Dieselabgasgift NO2 belasteten Orten in deutschen Städten bestätigt, sagte DUH-Chef Jürgen Resch unserer Redaktion. „Ich bin zuversichtlich, dass der EuGH in seinem Urteil dieser Argumentation folgen wird.“ Die Umwelthilfe werde in allen 35 von ihr in den Fokus genommenen Städten die Einhaltung der sauberen Luft durchsetzen. Resch kritisierte insbesondere Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der nach inzwischen fragwürdigen Berechnungen von Lungenärzten zu angeblich unschädlichen Mengen von Feinstaub einen Brandbrief an Brüssel mit der Forderung nach einer neuen Bewertung der Grenzwerte geschrieben hatte. Resch sagte: „Es ist bezeichnend, dass Verkehrsminister Scheuer versucht, mit Hilfe von Fake-Wissenschaftlern die Begründetheit der Luftgrenzwerte wie auch die Messorte für NO2 in Frage zu stellen. Das Plädoyer der Generalanwältin beim EuGH zeigt, dass er damit falsch liegt.“

Scheuer äußerte sich auf Anfrage nicht. Sein Ministerium teilte mit: „Es handelt sich erst einmal um einen Beitrag zu einem Verfahren, das noch nicht abgeschlossen ist.“ Die Federführung bei der Überprüfung der Messstationen liege beim Umweltministerium. Die Behörde von Svenja Schulze (SPD) erklärte, Deutschland praktiziere eine strenge Auslegung des EU-Rechts, die Überprüfung der Messstationen sei jetzt angelaufen. Eine zuvor in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebene Untersuchung des TÜV Rheinland habe ergeben, dass von 133 Messstellen nur eine einzige nicht richtig positioniert war. Und hier hatten sich durch Bauarbeiten die Voraussetzungen verändert.

Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte: „Mit der Debatte um die Messstellen konnten Verkehrsminister Scheuer und die Diesel-Hersteller von eigenem Versagen ablenken. Es ist wichtig, dass jetzt wieder die Hardware-Nachrüstung auf die Tagesordnung kommt. Und zwar nicht durch Zulieferer, sondern die Konzerne selber.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich vor den Landtagswahlen 2018 dafür ausgesprochen, dass die Konzerne alle Diesel-Wagen mit Abschalteinrichtungen auf eigene Kosten mit Katalysatoren nachrüsten sollen. Resch forderte, Merkel solle nun erklären, wie sie die Konzerne in die Pflicht nehmen will.

Unionsfraktionsvizechef Ulrich Lange zeigte sich skeptisch. „Es bleibt abzuwarten, ob die Richter dieser engen Auslegung der Luftreinhaltevorschriften folgen werden, wenn sie in einigen Monaten ihr Urteil fällen werden.“ Er mahnte: „Die Messgeräte sind vor Ort so aufzustellen, dass bei vergleichbaren Bedingungen nicht mal hier ein Grenzwert überschritten wird und dort aber nicht.“ Im Fall aus Belgien hatte ein Brüsseler Gericht in Luxemburg um Rat zur Auslegung des EU-Rechts gebeten. Es ging um die Frage, ob Bürger von nationalen Gerichten überprüfen lassen können, ob Messstellen ordnungsgemäß eingerichtet wurden und wie bedeutsam die Überschreitung von Grenzwerten an einzelnen Messstellen ist. Leitartikel

(jd/kd)
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