Griechenland in Finanz-Not Das Szenario vom "Graccident" geht um

Düsseldorf · Für die Griechen wird es eng. Noch für März droht die Staatspleite. Athen klammert sich an einen Notfallplan. Doch mit seinen neuen Ideen läuft Finanzminister Varoufakis in Brüssel und bei der EZB ins Leere. Schon reden manche vom "Graccident".

Worterklärungen in Griechenlands Schuldenkrise
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Foto: dapd, Michael Gottschalk

Die griechische Regierung ist am Wochenende mit neuen Vorschlägen zur Lösung akuter Finanzprobleme auf ganzer Linie abgeblitzt. Die Europäische Zentralbank (EZB) will dem pleitebedrohten Land - anders als von Ministerpräsident Alexis Tsipras erhofft - kein frisches Geld zur Verfügung stellen.

Dabei befindet sich Athen offenbar in höchster Not. Die Banken bluten aus, weil die Menschen in Scharen ihr Geld in Sicherheit bringen, die Steuereinnahmen sollen um 50 Prozent gesunken sein, die Konjunktur dreht schon wieder ins Minus.

Sieben Reformprojekte, eher vage formuliert

Am Montag tagen die EU-Finanzminister, schon wieder steuert die Lage auf einen dramatischen Showdown zu, in dem es für Athen um alles oder nichts geht. Noch vor wenigen Tagen hat Finanzminister Gianis Varoufakis dafür in einem elfseitigen Schreiben an Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem skizziert, wie sich die griechische Regierung Reformen und höhere Einnahmen vorstellt. Er enthält sieben Reformprojekte, von denen sich Athen eine Verbesserung der finanziellen Lage verspricht, unter anderem die Idee, einfache Bürger als Amateurfahnder in die Jagd auf Steuersünder einzuspannen.

In einem Interview garnierte der umstrittene Varoufakis sein Paket mit Vorschlägen noch mit einer Drohung. Sollte es im Streit um die Lösung der Schuldenkrise keine Lösung geben, könnte es ein Referendum oder Neuwahlen geben. Das Land wäre über Monate handlungsunfähig.

"Athen versteht das immer noch anders"

Doch in Brüssel, Frankfurt und anderswo zeigt man sich wenig offen für neue Ideen. "Ein Brief hin oder her ändert nicht viel", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der Brief enthält nach Einschätzung nur allgemeine Absichtsbekundungen. Ungenügend, sechs, setzen.

Nach der Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms bis Ende Juni kann Athen zwar grundsätzlich auf neue Hilfszahlungen hoffen. Die ausstehenden Kredite könnten aber nur ausgezahlt werden, wenn die griechische Regierung die Reformauflagen des Programms einhalte, sagte Dombrovskis. "Die Regierung in Athen versteht dieses Problem offenbar immer noch anders als wir." Auch von einer Auszahlung in Raten, die prinzipiell möglich sei, sei man derzeit noch weit entfernt. "Wir müssen immer wieder einen Punkt wiederholen: Wenn das Programm erfolgreich abgeschlossen werden soll, muss die Regierung seine Bedingungen erfüllen."

Auch die EZB zieht eine klare Linie

Auch von der EZB kann Athen keine finanzielle Hilfe erwarten. "Die EZB kann nicht die griechische Regierung finanzieren", sagte Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Wir dürfen das nicht tun. Das ist illegal." Damit reagiert die EZB auf Athener Pläne, die drohende Finanzierungslücke in den kommenden Wochen mit kurzfristigen Anleihen, sogenannten "T-Bills", zu überbrücken. Allerdings gibt es dafür eine Obergrenze von 15 Milliarden Euro. Eine direkte Finanzierung von Staatshaushalten ist der EZB nach den EU-Verträgen verboten.

Auch Dombrovskis unterstützt die Linie der Frankfurter Notenbank: "Es handelt sich offensichtlich um monetäre Staatsfinanzierung", sagte er. "Das kann die EZB nicht machen." Unter Berufung auf Diplomaten hieß es, Athen könnte Ende des Monats das Geld ausgehen. Bliebe die EZB bei der von Coeuré umrissenen Position, könnte es demnach zum "Graccident" kommen: einem ungeplanten Euro-Aus der Griechen.

Das Wort macht seit einigen Tagen Karriere. Es ist eine Art Gegenstück zum "Grexit". Der setzte sich aus den Begriffen Greece und Exit zusammen und sah einen kontrollierten Ausstieg Griechenlands aus dem Euro vor. Der Begriff "Graccident" hingegen kombiniert sich aus Greece und Accident - zu deutsch Unfall. Darin ist auch der Alptraum enthalten, dass eigentlich niemand an dem Untergang Griechenlands interessiert ist, die neue griechische Syriza-Regierung aber wegen Überforderung und völliger Fehleinschätzung der Gegebenheiten an der Krise scheitert.

Tsipras gibt die Verantwortung an die EZB zurück

Zu dieser pessimistischen Einschätzung passt wohl auch die jüngste Aussage von Ministerpräsident Tsipras, in der er versuchte, die Verantwortung für das Überwinden der Eurokrise auf die EZB abzuwälzen. Dem "Spiegel" sagte er: "Wenn die EZB auf dieser Entscheidung beharrt (...), dann übernimmt sie eine große Verantwortung. Dann kehrt der Thriller zurück, den wir vor dem 20.
Februar gesehen haben." An diesem Tag hatten sich die Euro-Finanzminister und Griechenland auf die Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms geeinigt. Das Land wird schon seit 2010 mit internationalen Hilfskrediten in dreistelliger Milliardenhöhe über Wasser gehalten.

Aktuell fehlt den Europartnern eine Übersicht zur angespannten Liquiditätslage in Griechenland. Denn Vertreter der EU-Kommission, der EZB und des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben ihre Gespräche mit der griechischen Regierung bisher nicht wieder aufgenommen. Die griechische Regierung hatte sich dagegen bislang verwehrt. Daher weiß derzeit niemand verlässlich, wie es wirklich um die griechischen Finanzen bestellt ist.

Nach dem was aus Griechenland zu vernehmen ist, sind die Kassen in Athen fast leer. Insgesamt muss Athen im März Verpflichtungen im Umfang von gut 6,85 Milliarden Euro erfüllen. Varoufakis sieht sein Land indes nicht vor akuten Zahlungsproblemen. "Ich kann nur sagen, dass wir das Geld haben, um die Renten und die Löhne der Angestellten im öffentlich Dienst zu zahlen. Für den Rest werden wir sehen", sagte er der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" (Sonntag).

(dpa)
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