Vor letzter Abstimmung in Brüssel Wie Wissing das Verbrenner-Aus noch kippen kann

Analyse | Brüssel · Es gibt die Einigung zwischen EU-Regierungen und Europa-Parlament, ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr in der EU zuzulassen. Insofern wurde die Drohung von Verkehrsminister Volker Wissing zunächst belächelt, als er ankündigte, das ganze noch stoppen zu wollen. Doch inzwischen sind wichtige Akteure in der EU alarmiert.

Volker Wissing bei einer Pressekonferenz im Dezember in Berlin.

Volker Wissing bei einer Pressekonferenz im Dezember in Berlin.

Foto: dpa/Britta Pedersen

14 Stunden dauerten die Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission, dann war Ende Juni in Luxemburg der Durchbruch geschafft: Ab 2035 werden in der EU keine neuen Autos mit Verbrenner-Motoren mehr zugelassen, im Gegenzug hatten Umweltministerin Steffi Lemke und Klima-Staatssekretär Sven Giegold (beide Grüne) auf Geheiß der FDP einen Passus reinverhandelt, wonach die Kommission prüfen sollte, ob und wie Pkw mit CO2-neutralen Kraftstoffen auch danach noch zugelassen werden können. Alle waren zufrieden, auch die FDP feierte das Ergebnis. Warum Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun doch alles stoppen will und ob ihm dies so kurz vor Toresschluss tatsächlich gelingen könnte: die wichtigsten Fragen und Antworten zur jüngsten Wende beim Verbrenner-Aus.

Warum dachten die Beteiligten, das Verbrenner-Aus sei nun unverrückbar?

Die Kommission hatte sich dazu durchgerungen, ab 2035 keine neuen Autos und Leichttransporter mehr zuzulassen. Das Parlament hatte ebenfalls nach langen Verhandlungen eine Mehrheit dafür zustandegebracht. Und auch der Rat, in dem die Fachminister der 27 Mitgliedsländer sitzen, war zu diesem Ergebnis gekommen. Als alle drei Gesetzgeber der EU dann zusammen die Details verhandelten und ebenfalls das Verbrenner-Aus bestätigten, schien die nötige Bestätigung durch Parlament und Rat, wie fast immer nach solchen Trilogen, nur noch eine Formsache.

Weshalb hat die FDP die Verständigung zunächst begrüßt?

Sie hatte erreicht, dass als Ergebnis des Trilogs zusätzlich festgelegt wurde, dass die Kommission einen Vorschlag vorzulegen hat, und zwar „für die nach 2035 erfolgende Zulassung von Fahrzeugen, die ausschließlich mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben werden“. Das war die von den Liberalen verlangte Technologie-Offenheit.

Warum wurde der neue Passus für wirkungslos gehalten?

Bereits nach der Verhandlungsnacht erklärte Lemke, dass der Beschluss eindeutig nur noch Fahrzeuge zulasse, die kein CO2 ausstießen. Antriebe mit E-Fuels, also synthetischen Kraftstoffen, stießen jedoch CO2 aus. Punkt. Zudem verwiesen Grüne und Sozialdemokraten stets darauf, dass die reinverhandelten Sätze lediglich in den einführenden „Erwägungen“ enthalten seien und sich zudem ausdrücklich nur auf Fahrzeuge „außerhalb des Geltungsbereiches der für die Fahrzeugflotten geltenden Normen“ beziehe. Die Interpretation: Damit könne der zuständige Klima-Kommissar Frans Timmermans E-Fuels über 2035 hinaus für zum Beispiel Feuerwehrfahrzeuge oder Modelle von Herstellern mit nur geringen Stückzahlen zulassen. Und zwar auch nur, wenn er das wolle.

Wie kam es zum Gesinnungswandel der FDP?

Die Bedenken hatten die deutschen Liberalen seit dem vergangenen Sommer stets mit dem Hinweis zu entkräften versucht, dass es allein auf die Kommission ankomme, ob sie E-Fuels weiter zulasse oder nicht. Vermutlich wäre das EU-Gesetz anstandslos durchgegangen, wenn aus der Kommission entsprechende Erwägungen gekommen wären. Tatsächlich aber kam nichts. Wissing unterstreicht: „Bis heute kennen wir keine Vorschläge, sondern nur ablehnende Äußerungen von Frans Timmermans.“ Ganz im Gegenteil werden teils drastische Äußerungen aus vertraulichen Runden berichtet, in denen Timmermans klar machte, im Traum nicht daran zu denken, den E-Fuels einen Weg zu bahnen. Er habe Timmermans ein Gesprächsangebot gemacht, das dieser leider nicht angenommen habe, berichtete Wissing am Dienstag in Berlin. „Auf das Prinzip Hoffnung können wir uns nicht einlassen“, unterstrich Wissing.

Wie sind die Meinungen zu E-Fuels?

Kritiker argumentieren, dass synthetisch hergestellte Kraftstoffe weiterhin CO2 produzieren, wenn sie in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden. Befürworter verweisen darauf, dass sie bei der Herstellung so viel CO2 der Atmosphäre entzogen haben, dass die Gesamtbilanz absolut klimaneutral sei. Das könne man von Elektromotoren nicht behaupten, weil diese erst viele tausend Kilometer laufen müssten, um im Vergleich zum heutigen Verbrenner allein das CO2 wieder einzusparen, das bei der Produktion der Batterien produziert wurde. Ganz zu schweigen davon, dass auch der Strom für die E-Autos nicht aus Kohle kommen dürfe, wie derzeit. Dem halten die Gegner von E-Fuels entgegen, dass deren Produktion viel zu teuer sei und viel zu viel Energie erfordere. Befürworter entgegen, das könne man dem Markt überlassen; steige die Nachfrage, sinke auch der Preis. Letztlich punkten die E-Fuels vor allem mit Blick auf die geschätzt 200 Millionen Bestandsfahrzeuge, die 2035 gut und gerne noch zehn bis 20 Jahre mit Sprit fahren dürften und für die das alleinige Verbrenner-Aus keine klimafreundliche Antwort außer den E-Fuels besitzt. Wissing erklärte: „Ohne E-Fuels ist Klimaneutralität im Verkehr nicht denkbar.“

Hat Wissing ein Veto?

Nein, es gilt für das Verbrenner-Aus, das in der nächsten Woche am Dienstag auf der Seite der EU-Regierungen auf der Tagesordnung steht, keine Einstimmigkeit. Damit hat die Koallition in Brüssel kein Veto, auch wenn Wissing klar machte, dass „Deutschland dem Trilog-Ergebnis so nicht zustimmen kann“.

Kann Wissing das Verbrenner-Aus trotzdem noch stoppen?

Für Deutschland hat er bereits durchgesetzt, dass E-Fuels zu den Optionen gehören, die deutsche Autofahrer nutzen können. Eine „gute Entscheidung“ nennt das der Brüsseler FDP-Verkehrsexperte Christoph Oetjen. Da müsse die Kommission für die EU-Ebene jetzt nur nachziehen. Ob sie das tut, hängt auch davon ab, ob es Wissing gelingt, genügend Mitstreiter zu finden. Denn das Verbrenner-Aus braucht im Rat eine Mehrheit von 55 Prozent der Stimmen, die 65 Prozent der EU-Bewohner repräsentieren. Italien hat bereits angedeutet, ebenfalls nicht mit Ja zu votieren. Das Verhalten von Polen und Bulgarien gilt als unklar. Dann bräuchte es nur noch ein weiteres Land, um das Verbrenner-Aus doch noch zu Fall zu bringen. Hier richten sich nun die Blicke unter anderem auf Tschechien und die Slowakei. Die Mehrheit im Europa-Parlament war schon nicht so eindeutig, wie von Anhängern des Ausstiegs aus dem Verbrenner erhofft: Bei 340 Ja-Stimmen gab es Mitte Februar 279 Nein-Stimmen und 21 Enthaltungen. Wenn das im Trend die Stimmung im Rat widerspiegelt, kann Wissing gewinnen.

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