Schwierige Europawahl im Mai Wie die Populisten Europa erobern

Brüssel · In vielen EU-Staaten sind populistische und antieuropäische Parteien auf dem Vormarsch. Bei der Europawahl im Mai könnten sie bis zu einem Drittel der Sitze im EU-Parlament erreichen. Derzeit schmieden die Extremisten Allianzen.

Nigel Farage liebt Großbritannien — und hasst die EU. Wenn die Europa-Hymne in der Straßburger Volksvertretung erklingt, tönen aus der Ecke von Farages Partei Ukip Buhrufe. Dem Ratspräsidenten Herman van Rompuy bescheinigte der Polit-Provokateur öffentlich das Charisma eines feuchten Scheuerlappens — und genauso gering ist sein Respekt vor dem Rest der EU. Den Euro hält er für "Wahnsinn", der Millionen Menschen in die Armut treibe. Farage will das System Brüssel von innen aushöhlen und Großbritannien aus der Gemeinschaft führen. Bei der Europawahl im Mai möchte er ein "Erdbeben" auslösen und seine Anti-EU-Partei Ukip zur stärksten britischen Kraft machen.

Farage ist kein einsamer Kämpfer. In vielen EU-Staaten sind populistische, nationalistische, extreme und Anti-Europa-Parteien auf dem Vormarsch. Bis zu einem Drittel der Sitze könnten internen Parlaments-Schätzungen zufolge beim Urnengang im Mai 2014 an die EU-Gegner fallen. "Sie vergiften das Klima in der Volksvertretung", sorgt sich Jo Leinen, langjähriger SPD-Europaparlamentarier. "Das Aufkommen des Populismus ist heute die bedrohlichste soziale und politische Erscheinung in Europa", warnt Italiens Regierungschef Enrico Letta. Fest steht: Die Anti-Europäer arbeiten daran, ihren begrenzten Einfluss im EU-Parlament durch eine Bündelung der Kräfte zu erhöhen.

Marine Le Pen und Geert Wilders schmieden Allianz der Europa-Hasser

Vor allem Marine Le Pen und Geert Wilders arbeiten derzeit eifrig an einer europaweiten Allianz der Europa-Hasser. Eigentlich passen die beiden gar nicht zusammen. Hollands Rechtspopulist hetzt gegen den Islam, ist aber ein bekennender Israel-Freund. Zu seinen Gönnern gehört die starke Israel-Lobby in den USA. Mit den Rechtsradikalen des Front National wollen letztere rein gar nichts zu tun haben. Doch Marine Le Pen möchte die Partei ihres Vaters aus der antisemitischen Schmuddelecke herausführen. Laut jüngsten Umfragen könnte der Front National als stärkste Partei aus der Europawahl in Frankreich hervorgehen. Auch für Wilders "Freiheitspartei" PVV ist dies in Reichweite. In ihrem Kampf gegen eine angebliche Unterjochung des Nationalstaats durch Brüssel und Massen-Immigration dürfte sich das ungleiche Paar schnell einig werden — und auch Verbündete finden. Wilders umwirbt etwa die rechten "Schwedendemokraten" und die Freiheitlichen in Österreich. Die "Alternative für Deutschland" hat ihm erst mal abgesagt, bemüht sich gerade um eine Abgrenzung zu Rechtspopulisten.

Die EU-Angreifer kommen aus ganz unterschiedlichen Lagern — von links wie Italiens Beppe Grillo bis ganz rechts wie der "Vlaams Belang" aus Belgien. Was sie eint, ist die Ansicht, dass Europa das eigentliche Problem und nicht Teil der Lösung im Kampf gegen Schuldenkrise und Globalisierung ist. Sie predigen den Rückzug ins Nationale als Allheilmittel gegen Ängste vor Arbeitslosigkeit, Wohlstandsverlust und Überfremdung. Und die Anti-EU-Hetzer verändern die etablierte Politik. So kündigte Großbritanniens Premier David Cameron ein Referendum über den Ausstieg der Insel aus der EU an — als Reaktion auf den Erfolg der Ukip. Die konservative UMP in Frankreich denkt an eine Abkehr vom bisherigen Einwanderungsprinzip, um den Aufstieg des Front National zu stoppen. Und die niederländische Regierung hat zuletzt eine Liste mit 54 Aufgaben vorgelegt, die sie der EU wieder abnehmen möchte — um Wilders Paroli zu bieten.

Der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europa-Parlament, Manfred Weber (CSU), warnt davor, den Anti-EU-Predigern nachzulaufen: "Wer die Populisten zu kopieren versucht, macht sie nur stark." Denn die Menschen wählten dann lieber gleich das Original. Stattdessen gehe es um eine inhaltliche Auseinandersetzung, darum, Ängste mit Fakten zu bekämpfen. So zeige der Euro-Rettungskurs durchaus Erfolge. Bisher sind die Anti-Europäer im EU-Parlament zu gespalten, um eine starke Stimme zu haben. Im 766 Mitglieder zählenden EU-Parlament sind Konservative (275 Abgeordnete) und Sozialdemokraten (194 Sitze) die stärksten Kräfte. Nationalisten, EU-Skeptiker und Rechtsextreme stellen 119 Vertreter — 31 davon sind fraktionslos, die anderen scharen sich um Nigel Farage in der Europa-Fraktion der Freiheit und der Demokratie (32) und die britischen Tories in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (56).

Die EVP arbeitet zudem daran, die britischen Tories wieder zurück in die konservative Parteienfamilie zu holen, um die etablierten Kräfte so zu stärken. Allerdings ohne Kursänderung: "Die Tür ist offen, aber wir verbiegen uns nicht", sagt Fraktionsvize Weber. Die britischen Konservativen hatten die EVP 2009 verlassen und eine neue europaskeptische Gruppe im Europäischen Parlament gebildet. Das Problem: Sie haben so kaum mehr Einfluss auf Entscheidungen. Premier David Cameron würde gerne aus dieser Selbst-Isolation raus, fürchtet aber, damit die Ukip erst Recht zu stärken.

EU-Gegner werden zum Zünglein an der Waage der Mehrheitsbildung

Jo Leinen wird es mulmig, wenn er ans neue Parlament denkt. Schließlich soll ja nach 2014 der Weg in die politische Union als Lehre aus der Schuldenkrise beschritten werden. "Über mehr Europa zu reden, wenn ein großer Teil des Parlaments das für falsch hält, das wird eine große Herausforderung", sagt der SPD-Politiker. Er hat Angst, dass die EU-Gegner im nächsten Parlament zum Zünglein an der Waage bei der Mehrheitsbildung werden könnten. Letztlich müssten sich wohl die pro-europäischen Kräfte von Mitte-rechts bis Mitte-links verbünden, um das zu verhindern. Es herrschte also eine permanente große Koalition, was lebendige Demokratie nicht gerade fördert. Im Gegenteil: Der "Einheits-Brei" wäre Wasser auf die Mühlen von Polit-Provokateuren wie Nigel Farage.

(RP)
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